Pressestimmen zur Ausstellung
Gregor Kunz: „Escape-Vineta“
4. März - 2. April 2011


Echte Kunst neben Ungeheuern
Der Dichter und Autor Gregor Kunz führt Kunstfreunde in barocke Wunderkammern.

Auf dem Weg von der Behauptung „Jedermann weiß, was ein Kopf ist“ bis zu der Collage, die diesen Titel hat, schleicht sich Irritation ein. Was man sieht, ist ein Ameisenhaufen mit Bewohnern in verschiedenen Entwicklungsstadien sowie Ausschnitte des Inneren eines oder mehrerer Organismen. Das Gleichnis für den Kopf und das, was darin vorgeht, wird umso unheimlicher, als der Vorgang der Betrachtung und die dabei sprießenden Fantasien selbst außer Kontrolle geraten.
Wer weiß schon wirklich, was ein Kopf ist, geschweige denn, was drin ist und warum. Die Collagen von Gregor Kunz in seiner Ausstellung in der Galerie Mitte in Dresden sind meist aus alten Stichen zusammengesetzt, wie sie einst als Buchillustrationen dienten. Zumindest gilt das für die Zyklen seiner drei Collagen-Romane, die jeweils über 150 solcher Bilder anordnen, nur kommentiert durch skurrile Bildunterschriften. Diese ersetzen Sprechblasen, aber erhellen nicht unbedingt, sondern reichern an durch vielstimmiges Sprechen von Dargestelltem und Vorgestelltem. Die Collagen-Romane haben Titel wie „Look at the Seascape. Kapitän von dem Busche und sein abenteuerliches Leben, erzählt von ihm selbst“.

Solche und noch barockere Bezeichnungen verweisen nicht nur augenzwinkernd auf dresdnerisch-traditionelles Selbstverständnis, das keinen Schnörkel auslässt. Sie führen auch in die Tradition barocker Wunderkammern, in denen echte Kunst neben vermeintlichen Ungeheuern und umgekehrt lag und Schaudern hervorrief – heute gebändigt in Museen und Gewölben. Die alten Stiche erinnern zugleich an das späte Kaiserreich, in dem das Pathos maritimer Aufrüstung und nüchterne Wissenschaft die Köpfe der Bildungswilligen füllten. Oder an den Optimismus von Jules Verne. Bis die Risse unübersehbar wurden und in Wahrheit bis heute nicht geflickt sind. „Escape Vineta“ – ist das nun die Flucht aus oder nach Vineta? Die dresdenähnlichen Stadtansichten von Kunz scheinen oft unter Wasser zu liegen, ohne dass ihre Personnage das merkt. Ja, diese mag sich manchmal in der Wüste fühlen, im Krieg, im Fortschritt.

Aus dem Zusammensetzen des scheinbar nicht Zusammengehörenden ergibt sich ein Surrealismus, traumhaft und ironisch, geschult an Max Ernst, plausibler als Neo Rauch.
Im Einzelnen und in den Zyklen wird stets genug offengelassen, um sich nicht im Bilderrätsel zu verlieren. Die gegenseitigen Verweise von Bild zu Bild, von Element zu Element zeigen gleichzeitig auf den wilden Sog eines Malstroms hinter allen Oberflächen. Es gibt stets mehr als einen pro Blatt. Insofern kann man Kunz als einen Erben E.T.A. Hoffmanns und der Romantiker erkennen, bei denen der Abgrund hinter seiner mechanistischen Leugnung lauert.

Gregor Kunz, geboren 1959 in Berlin, seit langen Jahren in Dresden ansässig, war bisher vor allem als Lyriker („Poet’s Corner 13“) und Journalist, etwa bei der Sächsischen Zeitung, bekannt. Außerdem befasst er sich als Essayist und Ausstellungsmacher mit bildender Kunst, hat 2010 die Jahresschau des Künstlerbundes Mecklenburg-Vorpommern kuratiert. Eigentlich hatte er nach der Schule die Eignungsprüfung an der Dresdner Kunsthochschule bestanden, aber doch keinen Studienplatz bekommen. Seine Sammlung von Jobs damals könnte auch eine Wunderkammer füllen. Später wurde er freischaffender Autor.

Etwa seit dem Jahr 2000 ist er auf die Grafik zurückgekommen. Außer Bildern aus den Collagen-Romanen zeigt er andere Collagen-Zyklen, teils Illustrationen, teils freie Arbeiten. Sie verwenden anderes Material, auch Farben, gehen teils ins Reliefhafte über. Außerdem sind einige Objekte zu sehen, wo Bruchstücke von Porzellanfiguren auf Scheuerlappen und Seeigel treffen. Ein bisschen Meeressehnsucht oder Fernweh ist immer dabei. Bei aller (Selbst-)Ironie ist es nicht ohne Ernst, wenn eine Collage heißt: „Man muß sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet“.

Gundula Sell, Sächsische Zeitung, 9. März 2011, S. 8


Anders nicht zu haben
Die Guten, die Bösen und die Häßlichen: Collagen von Gregor Kunz in der Galerie Mitte in Dresden

Die Collagen von Gregor Kunz, im Zusammenspiel mit den Bildunterschriften, können verwirren, erheitern, mitunter auch auf überraschende Weise trösten und ermutigen, oft genug alles auf einmal. Zu sehen sind diese Collagen in der Ausstellung »Escape Vineta (Die Guten, die Bösen, die Häßlichen)« in der Dresdener Galerie Mitte. Insgesamt sind dort 95 Arbeiten ausgestellt, dazu noch einige Objekte.

Gregor Kunz wurde 1959 in Berlin geboren; als Zehnjähriger in die Lausitz verbracht, wuchs er in Forst und Cottbus auf. Seit 1983 lebt er in der Dresdener Neustadt. Das Schreiben verdrängte frühere bildkünstlerische Arbeiten. Ab den 90er Jahren schrieb er als Autor für die Sächsische Zeitung, in den letzten Jahren vor allem über bilden­de Kunst. 2010 war Kunz Kurator von »Zeitgänge«, der Jahresausstellung des Künstlerbundes Mecklenburg und Vorpommern.

Die Ausstellung in der Galerie Mitte zeigt Arbeiten aus seinen drei Collage-Romanen »Look at the Seescape.«, »Inscape, Orte: Jedermann weiß, was ein Kopf ist!« und »Escape Vineta: Die Guten, die Bösen und die Häßlichen.«. Dazu kommt eine Serie von Illustrationen zu Cormac Mc Carthys »Blood Meridian / Die Abendröte im Westen«, viele Einzelblätter und Objekte. Man muß der Galeristin Karin Weber dankbar sein, daß sie diese Ausstellung möglich gemacht hat. Es gehören Vertrauen und Selbstvertrauen dazu, einem über 50 die erste Personalausstellung zu ermöglichen.

Als Kunz vor etwa zehn Jahren mit der Arbeit an seinem ersten Collage-Roman begann, wußte er natürlich von Max Ernst (1891–1976), der diese Form zwar nicht erfunden, wohl aber zur Blüte gebracht hat. Kunz bediente sich, wie Max Ernst, anfangs ausschließlich der Holzschnitte, die im späten 19. Jahrhundert als Illustrationen in Büchern und Zeitschriften verwendet wurden. Mitunter diente Kunz sogar der gleiche Holzschnitt als Vorlage wie Max Ernst, dies ist auch der begrenzten Materiallage geschuldet. Bereits in diesen ersten Arbeiten zeigt sich, daß Kunz sich von diesem Vorbild emanzipierte. Er entwickelte eine eigene Bildsprache in Aufteilung und Dynamik der Bilder. Dabei kamen ihm ganz sicher die neuen technischen Möglichkeiten entgegen.

Noch etwas ist wesentlich anders, die Inhalte der Collagen. Auch da, wo er die Vorlagen aus dem 19. Jahrhundert verwendet, sind seine Arbeiten ganz als heutige erkennbar. Er erschloß sich auch neue Materialien, verwendete Fotos, eigene und aus Zeitungen, ebenso farbiges oder strukturiertes Papier und Naturmaterialien wie beispielsweise Federn. Gregor Kunz geht souverän mit seinem Material um, viele seiner Bilder und Texte sind durchaus politisch, so man darunter nichts vordergründig Plakatives versteht.

Bilder von Menschen, Tieren, Dingen und den Verhältnissen, kurz, von der Welt, die wir zu kennen glauben, werden durcheinandergewirbelt, so in andere, neue Zusammenhänge gebracht, die uns verwirren und so die Wirklichkeit auf andere Art kenntlich machen. Für Kunz ist, so äußerte er sich im Gespräch, Kunst das, was der Welt hinzuge­fügt wird und anders nicht zu haben ist. Und er ist davon überzeugt, daß das Kunstwerk mehr wissen sollte als der Künstler. Er will vom Ergebnis der eigenen Arbeit überrascht werden. (...)

Gerd Adloff, Junge Welt, 17. März 2011, S. 12


Ahnungen von einst und jetzt
Collagen und Objekte von Gregor Kunz in der Galerie Mitte

Eine nackte langhaarige, auf einen Stecken oder Speer gestützte Gestalt flieht durch ein Hügelland mit darin ver­streuten kleinen Fabriken und stoisch rauchenden Schornsteinen. Irgendwo weit hinten scheint etwas zu explodieren, während im Vordergrund ein weißhaariger Alter lauert, ein überdimensionales Essbesteck mit spitzzinkiger Gabel gezückt. „Shit happens. Game over!“ ist des Schöpfers Kommentar zu dieser Collage, er passt wohl irgendwie auch zum Tage. Was kein Wunder ist, denn apokalyptische Visionen sind so alt wie die Kulturgeschichte der Mensch­heit. Sie sind unterschwellig vorhanden, zumal in jedem Wunderwerk der Technik; Lust und Gier nach Abenteuer, Fortschritt, Eroberung paaren sich mit der am Untergang (der anderen).

Gregor Kunz, Jahrgang 1959, einst verhinderter Kunststudent, bislang vor allem als Journalist, Essayist und Lyriker bekannt, hat sich seit der Jahrtausendwende (auch mangels anderweitiger Nachfrage) auf das weite Feld dieser Beziehungen begeben und dabei seine literarische Begabung zum Sporn der bildnerischen gemacht. Einen Querschnitt der Ergebnisse kann man in der aktuellen Ausstellung der Galerie Mitte anhand von Collagen/Montagen und Objekten besichtigen.

Kunz lässt also seiner Phantasie keinen völlig freien, trotzdem fast exzessiven Lauf, indem er sich zwar die Genugtuung, aber auch die Mühe versagt, allein auf sich gestellt die „gute, böse oder hässliche“ Welt zu erkunden, sich statt dessen darauf beschränkt, in illustrem Material zu schwelgen, das dazumal gängige, zum Teil enzyklopädische Bildwerke vornehmlich des 19., aber auch des 20. Jahrhunderts bieten: surreale Kompositionen, in denen sich das analytische Sichten und Filtern mit dem intuitiven, spielerischen Kombinieren verbindet. So entstehen manchmal naheliegende, oft aber überraschende, phantastisch anmutende Konstellationen, deren Assoziationspotential Kunz durch die Untertitel meist noch weiter auflädt, statt es auf eine Pointe zu reduzieren.

Die Tendenz ist allemal ironisch, zuweilen bis zum Sarkasmus, aber Kunz benutzt sein Ausgangsmaterial nicht nur als wohlfeiles Arsenal, sondern gibt ihm im veränderten ästhetischen Kontext eine ganz neue Strahlkraft, neben einer gewissen romantischen Verklärung eine Brisanz, die sich nicht so rasch abnutzen dürfte. Denn statt auf der Bildfläche, wo sie rasch verblassen könnten, entpuppen sich die Anachronismen im Kopf des Betrachters. Sofern nicht schon Ameisen wimmeln zwischen Hirn und Eingeweiden wie auf einem raffiniert collagierten Blatt, das fatal lapidar unterschrieben ist mit „Jedermann weiß, was ein Kopf ist“, zugleich Untertitel des Collage-Romans „Inscape, Orte“, der laut Autor „Anmerkungen und Fußnoten zu einer Naturgeschichte der wahrscheinlichsten Irrtümer zwischen Amerika und Berlin“ bündelt. Zwei weitere widmen sich den „vlachischen Aufzeichnungen bzw. dem abenteuerlichen Leben eines „Kapitän von dem Busche“, den Kunz einmal „Im Spiegel“ mit Pour le Merite und zähnebleckendem Löwenkopf zeigt, ein andermal mit offenem Gerippe unter der Weste und der enthusiastischen Parole: „Altersmilde? Der Kapitän lachte. Den Kommunismus sehe ich mir noch an, dann ist Schluss.“

So oder so genügend Raum und Anlass, den mittlerweile schon Hunderten von Blättern weiter Erhellendes und Despektierliches hinzuzufügen, auch wenn der Fundus begrenzt ist, soweit Kunz alte Holzstiche bevorzugt, die sich gut kopieren und dabei auch vergrößern lassen. Gelegentlich überlagern sich mehrere Bildebenen mittels Transparentpapier und -Klebefolien wie bei der Serie „Ikonenwand anonymer Heiliger“: Ein Gasmasken-Kopf mit zerzauster Feder wird zum archaischen Symbol der Trauer am Irrweg der Zivilisation. Wissen darum, wie sich Anspruch und Wirklichkeit, Utopie und Beschränktheit begegnen, wie das Gestern im Heute nachwirkt. Zum Beispiel in der Verkettung von Mythos und Trauma der Stadt Dresden. Oder – in einer scheinbar ganz anderen Welt –, im Roman „Blond Meridian/ Die Abendröte im Westen“ von Cormac McCarthy („No Country for old Men“), den Kunz auf seine Weise illustriert hat. Im gegenseitigen Deuten der Zeiten kristallisiert sich überzeitliche Erfahrung, im schlimmsten Fall mit dem Fazit „Das Ende von Etwas“ oder der Alternative eines „kurzen glücklichen Spiels zwischen den Kriegen“.

Tatsächlich erinnert in seiner Schärfe manches sogar an John Heartfield, etwa eine Freiheitsstatue, der winzige Menschlein mit Kränen und Flaschenzügen einen hohlen Gitterkopf aufsetzen. „Bube Dame König, Glas. Viel Platz vor Amerika“ (2009) heißt das Blatt aus dem Collage-Roman „Escape Vineta“, dessen Titel die Galerie für ihre Ausstellung entlehnt. Das scheint insofern berechtigt, als dass die (Aufforderung zur) Flucht oder Betätigung eines Notschalters, um aus einem versinkenden Reich gefährlicher Illusionen zu entkommen, einer hier virulenten Art von Resignation entspricht. Die aber dennoch nicht in geistiger Lähmung mündet, allenfalls in einer gewissen Melancholie wie in der Arbeit „Die Väter, die Väter“, die Kunz besonders wichtig ist und einen „Klassiker“ in einem gestürzten antiken Palast zeigt, umschwebt von seltsamen Fischen und Medusen. Von blauäugiger Zukunftsgläubig­keit distanziert er sich, weil er plumpen Parolen mit widerborstigen Repliken begegnet, die nur mit wachen Sinnen zu entschlüsseln sind.

Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten, 21. März 2011, S. 9


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