Gregor Kunz, Ausstellungseröffnung:
"Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.", Käthe Kollwitz Haus, Moritzburg, 26.4.2015
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
die Institution Käthe Kollwitz Haus Moritzburg – Erinnerungsstätte, Werkstatt, Galerie – besteht seit 20 Jahren und vor 70 Jahren, am 22. April 1945, starb Käthe Kollwitz, nicht die Künstlerin, aber der Mensch, also die Künstlerin doch: Erschöpft, sehr müde, verbraucht nicht allein von ihrem langen Künstlerleben, ebenso vom Alltag, von dem, was wir Geschichte nennen.
Kunst zu versammeln, bedarf es eigentlich keiner Anlässe und vielleicht ist auch ein Grund nicht nötig, aber diese sind gut und der noch besser: „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“.
Diesen Goethe-Satz hat Käthe Kollwitz benutzt, seit ihr Sohn Peter im Oktober 1914 in Flandern gefallen war. Er steht im Tagebuch und im Oktober 1918 in einer öffentlichen Entgegnung an den Dichter Richard Dehmel und seinen Aufruf zur „Ehrenrettung“ Deutschlands, vulgo zu einem letzten Himmelfahrtskommando junger Freiwilliger...
Zitat: „Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen! Ich berufe mich gegen Richard Dehmel auf einen Größeren, welcher sagte: Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden.“
Zuletzt, 1941, ist er der Titel einer ihrer bekanntesten Lithographien, die als ihr Vermächtnis genommen werden kann. Eine Frau sucht ihre Kinder zu schützen, sagt das Blatt; für die Kinder ist das gut, aber es ist auch ein verzweifeltes Unterfangen. Die Jahre 1914-1918 teilten ihr Leben und in den 24 Jahren danach liegt ihr Weg von der argumentierenden Forderung zu diesem bekennenden Trotzdem, ins Dunkle nicht geschrien, sondern gesagt.
Künstler ergreifen, was sie ergriffen hat und ins Bild kommt, was fehlt und danach verlangt.
Saatfrüchte, das Wort klingt eigen, richtig und falsch. Goethe wusste was Korn ist, so gut wie er wusste, was eine Metapher ist. Auf die Frucht, die Fülle und ihr Reifen, auf das langlebige Gehölz darunter, auf all das muss es ihm demnach angekommen sein. Der Satz steht in seinem Entwicklungsroman, Wilhelm Meisters Lehrjahre (Siebentes Buch, Neuntes Kapitel), er ist Teil jenes Lehrbriefs, der sagen will, Wilhelm wäre fertig, nicht mit dem Lernen, aber losgesprochen, von der Kunst unter anderem, für die er nicht taugt. Denn um Kunst geht es hier: „Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden, der Künstler braucht sie ganz. Wer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel; wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät. Jene haben keine Geheimnisse und keine Kraft, ihre Lehre ist, wie gebackenes Brot, schmackhaft und sättigend für einen Tag; aber Mehl kann man nicht säen, und die Saatfrüchte sollen nicht vermahlen
werden.“
Von der Kollwitz wird dieser Satz im Folgenden auch politisch eingesetzt, bei den (zustimmenden) Rezipienten wird er zur griffigen Formel, aber er bleibt dennoch seiner Herkunft verbunden, der Sprache wegen, dem Richtig und Falsch dieser merkwürdigen Metapher und auch kraft seiner Emotionalität, die im Hirnkeller hallt. Käthe Kollwitz scheint sich dessen bewusst gewesen zu sein. Im Februar 1915 verbindet sie ihn im Tagebuch mit ihrer Arbeit: „Bevor ich nicht treu mit meinem Pfund zu Ende gewuchert habe und das in mich gelegte Samenkorn bis in den letzten kleinen Zweig zu dem entwickelt habe, wozu es bestimmt ist, will ich nicht abtreten. (…) Peter war Saatfrucht, die nicht vermahlen werden sollte. Er selbst war die Aussaat. Ich bin Träger und Entwickler eines Samenkorns. (…) Da ich nun aber Träger sein soll, will ich treu dienen. (…) Ich darf nicht nur meine Arbeit vollenden – ich soll sie vollenden.“
Dieses Vollenden war Programm, Gegenstand des Programms blieb die Grafik und wurde die Plastik. Was dieses „Seine Arbeit zu Ende tun.“ (März 1916) gekostet hat, steht in den Tagebüchern, oft genug auch als Klage. „Tief. Tief. Tiefstand.(...) Jetzt ekelt mich meine Arbeit so, daß ich sie nicht sehen kann.“ (April 1921) Es glich dem Bewegen eines Steins, der bewegt werden muss und nicht bewegt werden will, immer wieder und aufs neue, dem Bewegen eines Steins, der sich bewegt wie er will. „Aufgeben kann ich nicht. Bin auch nicht mutlos. Bin nur mutlos, wenn ich an meine 50 Jahre denke, die abnehmende Zeit und Kraft.“ (August 1917)
Vollendung mag partiell möglich sein, ist möglich in der einzelnen Arbeit, Vollendung im Ganzen ist Menschen nicht gegeben, nur das bessere Scheitern, will heißen: Es stetig angestrebt zu haben. Aber man kann damit weit kommen.
„Für kurze Zeit Zeit kommt das starke Glücksgefühl wieder, das Glücksgefühl, das sich mit keinem anderen vergleichen läßt, das der Arbeit, der man gewachsen ist. Das hat man gehabt in seinen besten Zeiten, und wie kurz waren die doch. Wie lang das mühsame Hin- und Herlawieren, das Gehemmtwerden, das immer von neuem Zurückgeworfenwerden. Aber all das wurde aufgehoben durch die Zeiten des Könnens und Gelingens...“ (Ostern 1932)
In den 53 hier versammelten Arbeiten, beispielhaft zusammengeführt aus dem Ausstellungsgeschehen in 20 Jahren Kollwitzhaus Moritzburg, in diesem Mosaik der separaten Fenster steckt etwas davon, sagen wir, von der Saatfrucht, die ist, war oder wird, und auch vom Kollwitzprogramm, ein Beipflichten, für oder gegen, Respekt. Wieviel, das wissen die Künstler.
20 Jahre sind viel, zumindest im Leben eines Menschen. Ein Kind wächst in 20 Jahren heran und wird dann etwas anderes, erwachsen, was immer das dann ist.
Künstler stehen nach 20 Jahren Arbeit auf einem Höhepunkt, zumindest ihres Könnens, und vor einer Frage. Was nun? Wohin? Wie jetzt weiter? Ein Kreis ist ausgeschritten, die Alterskohorte verstreut, das Dasein vereinzelt. Wenn man will, stehen sie vor einem zweiten Leben, in der Kontinuität und im Bruch mit dem ersten. Ohne den schönen Schub der Illusionen allerdings, an Hoffnung ärmer, reicher an Wissen, reicher an Erfahrung. Kunst ist immer ein Trotzdem.
Was immer die 20 Jahre Kollwitzhaus sonst noch waren, sie sind ein Erfolg.
Damit genug von meiner Sicht auf die Dinge. Was sie, verehrtes Publikum mit den hier versammelten Arbeiten anfangen, werden Sie selbst herausfinden. Bilder, das ist so ihre Art, wenn sie taugen, brauchen Köpfe, Augen, die sehen und das Potential unterm Schädeldach, um ihr Potential zu entfalten, das helle wie das dunkle... Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher und dem Kollwitzhaus Glück und Geschick für das Kommende. Vielen Dank.
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