Gregor Kunz, Ausstellungseröffnung:
Christiane Just, Gedenkausstellung: Malerei, Galerie Adlergasse, 13.9.-1.11.2019



Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,

was vom Menschen bleibt, ist Erinnern und seine Arbeit, mit Glück und nach Verdienst, wenn es gut geht … Christiane Just bin ich zuerst in der zweiten Hälfte der 80er begegnet, bei Andreas Hegewald in der Berliner Straße. Es ging vermutlich um die Arbeit an Samisdat-Projekten – usf., Bizarre Städte – und dann sicher um das jähe Verschwinden des Siebdruckers Thomas Haufe in der U-Haft Schießgasse. Ich erinnere mich nicht an Worte und Gesten, auch nicht an Bilder, aber ganz sicher weiß mein Erinnern von Christiane Justs zugewandter Anwesenheit, ihrer aufmerksamen Freundlichkeit, an der sich nichts ändern würde.
Warum das fest haften geblieben ist, weiß wer den Kunst- und Literaturbetrieb etwas kennt. Eine Künstlerin hat dieses Erinnern aus dem ihren unlängst bestätigt: Ich kannte sie nicht gut, aber ich mochte sie. Ich wusste immer, da ist etwas Gutes.
Seit wann ich Arbeiten Christiane Justs kenne, kann ich nicht mehr sagen. Sicher ist nur der Mai 2000 mit „Adler Ei, Kral und Crash“, einer Gruppenausstellung in der Galerie Adlergasse (im Haus gegenüber), darin ihre Ölbilder und eine kleine Skulptur. Eins der Bilder zeigte gehörnte Tiere, gerötet vom Sprung und von rechts nach links über Gelb unterwegs. In dem kleinen Bildwerk aus Eisen lebte der Adler sein strahlend gefiedertes Leben, sein Auge vielmehr, das zugleich Flugbild war und noch ein Drittes, alles in einem.

Christiane Just hat ausufernd gearbeitet, auf vielen Feldern: Skulptur und Keramik, Kunst am Bau, Malerei, Grafik vor allem... 2003 begann die Arbeit mit Andreas Hegewald an den Büchern der Buchenpresse und zur Literatur, parallel an wenigstens 20 Büchern: Hertha Müller, Schiller, Ingeborg Bachmann, Apollinaire, Dante unter anderen, zuletzt noch 2010, gemeinsam mit Hegewald an einem Buch mit den Gedichten Keith Barnes: „Mein tod wird deine lebensbahn in vollkommenheit spiegeln / wasser werden meine worte schaukeln meine augen werden verschwimmen“.
Dazu kam das Engagement im Riesa e.V., dessen Malschule sie gegründet hat und lange geleitet, die 10 lithographischen Bücher mit Kindern, das Engagement im Künstlerbund, kollegial, uneigennützig, mit Herzblut. Dieses Interesse an der Arbeit anderer, diese Fähigkeit, sich einzubringen in die Arbeit anderer ist selten.
Ob es die Kunst ist und sein sollte, war nie ihre Frage. Angefangen hat sie mit Malerei, da war sie gerade 16 Jahre alt. Sie hat das Malen immer geliebt, sagt Hegewald, aber das Leben, die Lebensumstände haben bestimmt, dass sie in der Grafik, in der mehrfarbigen Radierung, der Aquatinta vor allem, zu höchster Meisterschaft gelangt ist. In den Enkaustik-Tafeln von 1998 „Zu Dante. Das Inferno“ ist die Verbindung zu sehen. Verwirklichung ist eine große Sache: sie macht Wirklichkeit offenbar.

Ausgestellt hat sie nicht häufig und fast immer mit anderen. Nur drei Einzelausstellung haben sich finden lassen, 1991 und 1995 in der Galerie Adlergasse und 1999 in der Galerie der Dresdner Sezession 89. Es gab etliche Rückschläge, Ablehnungen durch andere, zurückgenomme Zusagen. Sie war nicht der Mensch, der für sich trommelt; stattdessen hat sie gearbeitet und auf die Qualität ihrer Arbeit vertraut.
Jeder Mensch wird als Künstler geboren, die wenigsten aber haben die Kraft, es zu bleiben. Sie war geboren zum Gesamtkunstwerk, sagt Hegewald, und sie war zu Großem in der Lage. Unterforderung kann sehr belastend sein. Eine große Ausstellung, die ihr Werk angemessen zusammenführt und würdigt, steht aus.
Was es noch geworden wäre, man weiß es nicht. Nur dass es vieles geworden wäre, ist sicher... In jeder Vollendung steckt Beginn.

„Das Original ist in mir. Ich bin das Äußere meines Seins und alles, was ich tue, wirkt zurück. Visionen, Bilder sind feine Gespinste, die erfassen, fangen und zerrissen werden. Ein Kräftespiel, manchmal ein unausgewogenes, vermessenes. Das Spiel hinterlässt Spuren. Es gräbt Linien, Furchen, Rinnen für den Fluss der Zeit und seine Schicksale.“ Zur ihren Zeichnungen ist das gesagt, 2010 zitiert von Karin Weber in ihrer Besprechung der Gruppen-Ausstellung „Zeitlinien 150°“ in der Galerie 3.
Andreas Hegewald sagt ähnliches: Da war nichts Äußeres; das war ihre große Begabung. Sie kam aus einem Ganzen, der Fülle und ging tief rein in die Elemente, in die Farben, ins Tier, in den Menschen.

Wie sie das angegangen ist, kann an den hier versammelten Bildern annähernd nachvollzogen werden, gut in der offenen Dreier-Gruppe von 1993, in der Arbeit von 82 und ebenso in Bilder von 2009 und 2011. Sie hat Schichten gelegt und schwingen lassen mit allem, was folgte, ließ die Farben agieren in Streit und Einvernehmen. Unten liegt das Flüssige, vibrieren abgegebene Gesten, ein Suchen und Umkreisen, Antworten, die ihre Fragen verlangt und dann bekommen haben. In Farben zumeist, mit dem Schwung aus dem Ganzen, oder auch mit dem harten Druck eines spitzen Dings. Gelb will sein Blau und sein Rot, Rot will Grün und das Blau wieder ein anderes, das farbige Grau will sein Schwarz fast akzentfrei: Es gäbe ja nichts ohne Makel, kein Schwarz und kein Weiß ohne Ton. Um was zu werden? Körper und Köpfe, Schlange und Mensch, Schädel und Mond, Pflanze und See, ein Ganzes der Dinge, hier benannt als Dämon, Schwarzer Engel, Grüne Frau, Madonna mit Katze oder auch gar nicht.

In den Tieren von 1993 scheint ein Zitat aktiv, aber das täuscht. Was da rumort, ist ein sehr altes Prinzip. Wie Gelegenheit und Farben einander verlangt haben und sich im Tier verkörpern, hat das Tier nach den Tieren verlangt. Nicht nach irgendwelchen, sondern nach genau diesen. Wie in Lascaux, Chauvet und Altamirana ist hier ein Mythologem aufgerufen worden, eine Welterzählung in Gegensatzpaaren, vielleicht auch aus den selben Gründen wie ehedem: Um der Künstlerin zu sagen, wer sie ist und sein wird.

Auf dem Jacobsweg endlich begegnen sich Mensch und Engel in derselben Gestalt und Mühe. Tiere kommen entgegen, aber für sich, nicht freundlich; paarweis gehen die Wolfskatzen, ambivalent bis in in die hakigen Schwänze; ein Stier greift an, unten stellen drei Pferde den Horizont hinterm Brückentor. Wohin die gewundenen Treppen führen, kann man wissen: ins Andere. Was das dann ist, weiß, wer dort war. Die Augen oben sind Boote im Fluss, Schild und Strahl und Welle, Muschel und Mund und natürlich Augen, nicht immer derselben Art. Miteinander zieht der Zug der Augen-Sterne mählich aufwärts, hinter und vor Wanderer und Wanderin auf ihrer Brücke, Traumgesichter treiben seitlich heran, an und in der Milchstraße oder suchen mit dem Paar Kontakt.
Dieses Überall der Augen ruft den Tag auf, die Sonne, die alles sieht und sehen lässt und einmal Helios hieß, Zeuge und Zeuger, unermüdliches Auge. Sonnenstrahl du vielschauende Mutter der Augen, heißt es bei Pindar. Hirten begruben die Sonne im kahlen Wald, sagt Georg Trakl. Und Franz Fühmann setzt fort: Die Sonne ist das, was Keiner begräbt. Mythologeme agieren auch hier, Urgrund und erfahrene Welt, zum Bild geworden, darin die Hand gedacht hat und die Formen denken.

Wir werden doch, was wir werden sollen, sagt Hölderlin. Schönes Leben, du lebst.

Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, vielen Dank.



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