Gregor Kunz, Ausstellungseröffnung:
Maja Nagel, im feld, Käthe Kollwitz Haus, Moritzburg, 17.8.2014
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
Maja Nagel ist seit den 80er Jahren in Zeichnung, Malerei und Collage, Performance, Installation und Animationsfilm vielfältig unterwegs, erfolgreich, wenn Qualität der Maßstab ist.
Was sie hier in Moritzburg im Auszug zeigt/vorstellt, ist nun noch einmal ein Schritt ins Weiter und zugleich ein sehr eigener Zugriff auf etwas sehr Altes.
Zitat: Und wir fuhren von dort weiter, betrübten Herzens, froh dem Tode entronnen, verlustig lieber Gefährten. Doch liefen mir die beiderseits geschweiften Schiffe nicht weiter, ehe man nicht einen jeden von den armen Gefährten drei mal gerufen hatte, die gestorben waren in dem Felde, erschlagen von den Kikonen. So berichtet Odysseus den Phaiaken bzw. informiert Homer im 9. Gesang der Odyssee über ein Ritual, vermutlich der späten Bronzezeit. Es dürfte einen Teil der Nacht gedauert haben, die 72 Namen drei mal in die Brandung vor Ismaros zu rufen, aber nur so war den Seelen der unbegrabenen Toten dennoch ein Grab zu geben – leer oder virtuell - und der Weg in die Anderwelt zu öffnen.
Nagels Langzeitarbeit „Im feld“ ist diesem uraltem Ritual von Aufruf, Beschwörung, Abschied und Klage sehr nahe wie sie ebenso einer zeitgenössischen Konzeptkunst nahe steht.
Mit einer gewissen Notwendigkeit entstand dieser epochenübergreifende Ansatz im (intuitiven, empathischen) Umgang mit der Urkatastrophe des 20.Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg. Der war in seinem Wesen vor allem eines: Permanente Vernichtung von Menschen und menschlicher Substanz über vier Jahre hin, Vernichtung von Ressourcen und Landschaft, von Lebensmöglichkeiten und zivilisatorischen Standards, irrational, amoralisch, kriminell, stumpfsinnig, dumm.
Im Westen reichte die Zone der Totalzerstörung von der Schweizer Grenze über Frankreich und Belgien bis in die Nordsee; auf rund 800 km Länge blieb in einem Streifen von bis zu 100 km Breite nur nackte Erde, Schrott, Müll, Exkremente und Knochen.
Hier vor allem hatte der Grabenkrieg bereits die Merkmale der späteren Vernichtungslager: Menschenmassen wurden in einer extrem lebensfeindlichen Umgebung konzentriert und festgehalten, um massenhaft und willkürlich getötet zu werden.
Nicht überall war der Vernichtungsgrad wie in den Kriegszonen Frankreichs und Belgiens total, aber das besagt nichts. Ihre Grenzen fand die Vernichtungsmaschinerie allein in den technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Zeit, nicht im menschlichen Willen, in Ideologie und Religion, menschlicher Einsicht. Diesen maschinellen Krieg - „den niemand wollte“ - haben Bürgertum und Kirchen aller beteiligten Staaten mitgetragen; beendet wurde der Krieg nicht von Sozialisten und Pazifisten, beendet, genauer gesagt, in eine andere Form überführt, hat ihn die allgemeine Erschöpfung und die Spanische Grippe.
Es starben 10 Millionen Soldaten, die Kriegsfolgen Hunger und Seuchen verdoppeln die Zahl, die Grippe brachte noch einmal 25 Millionen um.
Mit den Mitteln des Bildes ist das Wesen des Erste Weltkriegs schwer zu fassen, heute, und nach Dix. Die Fotografien der Zeit, heute gesehen, machen gerade das deutlich. Nah kommen dem Wesen dieses Krieges am ehesten Aufnahmen, die kein Aha des Wiedererkennens zulassen, die nicht Gesichter, Uniformen, Technik, Szenen, Episoden zeigen, sondern zerwühlte Erde, nass und vegetationslos, unkenntliche Trümmer, vernichtete Landschaft und gänzlich anonyme Menschen darin. Sie allein weisen über den historischen und historisierten (dh. beendeten, abgespaltenen, verkapselten) Krieg hinaus.
Maja Nagels Weg der Visualisierung ist nicht darstellend: minimalistisch, ausufernd, geduldig führt er über Zeichen aber ins dennoch Bildhafte. Seit 2012 zeichnet sie anthropomorphe Figuren auf Rechen-Papier, einen stilisierten Umriss nach dem anderen, sehr klein, immer 1000 pro Blatt. So entstanden in immer wieder aufgenommener, ritualisierter Handarbeit auf bisher 783 Blättern Figuren-Felder, die miteinander an ein Gewebe erinnert, ein Raster ohne sicheren Anfang und ohne sicheres Ende.
Die Figuren scheinen zu gehen, alle in eine Richtung, und es scheint immer die selbe Figur zu sein, die da geht, 783 000 mal.
Worin sie gehen, sagt die Zeichnung: In Feldern/Formationen. Wohin sie gehen und worauf, das sagt die Zeichnung der Umrisse noch nicht, aber der Titel der Gesamtarbeit sagt es: „Im Feld“.
Er verweist auf einen ehedem üblichen Sprachgebrauch und damit die Blätter in den Krieg - „Im Felde (stehen)“ stand verschleiernd für „(Als Soldat“) Im Krieg (sein)“ und „Im Felde geblieben“ für „Gefallen“, also tot. Damit wird eine ahnbare Eigenschaft der sonst fast Eigenschaftslosen aufgedeckt und festgelegt. Diese Figuren stehen für Soldaten, die Soldaten sind und sonst nichts.
Soldaten sind uniform, aber bei diesen hier ist die Gleichheit noch einmal gesteigert. Ihre Uniform ist entstaatlicht, entnationalisiert, enthierarchisiert und selbst entmilitarisiert, sie ist nur noch Gleich-Form. Damit bleibt nur noch eine Zugehörigkeit offen, die zum Feld in Folge, die zum Nicht-Mehr der Toten. Sie sind gleich in ihrem Schicksal: Opfer partikularer Interessen, die sie nichts angingen, Gefallene des Weltkriegs 1914-1918, geschrotete Leiber und Seelen.
Schaut man genauer aufs Blatt, finden sich eine Nummer und ein Datum, eine Zeitmarke im Fortgang der Arbeit, ein Tag aus dem Leben der Künstlerin, anheimgegeben dieser rituellen Arbeit an Trauer und Wahrheit.
Sieht man länger ins Blatt, ändert sich die Wahrnehmung der einzelne Figuren, wird aus Gleichheit Ähnlichkeit, scheinen im Raster der Toten mit kleinsten Abweichungen die Individuen wieder auf, eine verlorene/gestohlene Möglichkeit, aufgerufen, beschworen von der zeichnenden Hand der Künstlerin.
„Der Krieg...“, sagt Giorgos Seferis, „Tauscht Seelen gegen Asche.“ Im rituellen Abarbeiten am Nichtdarstellbaren des Krieges, im Zeichnen des fast Gleichen in dauernder Folge, in visueller Beschwörung vollzieht Maja Nagel den Prozess der Vernichtung nach: In eigener Weise, nämlich gegenläufig. Sie tauscht Asche gegen Seelen.
zurück