Gregor Kunz, Ausstellungseröffnung:
Andreas Hegewald, Das poetische Weltbild, Leonhardi Museum Dresden, 21.6.2019



Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,

ich begrüße sie im Inneren eines (mehrteiligen) Buches, in den glücklich nachgebauten Spiralgängen eines labyrinthischen Spiels ohne Ende, das tägliche Übung heißen kann und Herstellen von Weltverständnis, glückliches Finden in Kunst und Poesie. Zitat „Erkennen heißt sich zu entsinnen / Vielleicht an das was man nicht ist / Dort wo du hergekommen bist / Mußt du noch einmal neu beginnen“
Begonnen hat Andreas Hegewald mit der Musik, schon früh als Thomaner in Leipzig, Feder und Stift, der Umgang mit Farben kamen in Dresden hinzu, dann die Bildnerei in Stein und Holz, in Worten und Versen, das Buch und die Bücher, alles beizeiten und in diversen Verschränkungen. Hegewald lebt in der Vielfalt der Künste. Gefragt nach dem Kern seines Tuns nennt er den Willen zur Kunst, den Willen, eine Gesamtheit der Zusammenhänge wenigstens punktuell zusammenzuführen. Das heißt auch, das Gesetz, das den Menschen begründet, immer wieder neu zu befragen: Dass der Mensch als Künstler wirken kann, womöglich zu glücklicheren Enden, und wie er es tut. Es ist, sagt Hegewald, „ein Grundverlangen, künstlerische Lösungen zu finden, um etwas zu erkennen, etwas für sich beantworten zu können“.

Die Wahrheit des Poetischen liegt in der Verwandlung. Poesie ist Metamorphose in Folge und Korrespondenz von Zeit, Ort und Gegenstand, Entsprechen. Die „FEDERWOLKEN“ werden sein, was sie waren, immer wieder, begangene Weinberge im Winter, ein Tatort, das Meer und seine gültige Arbeit am frühen Morgen, dunkel des Nachts, wenn das weiße Blut des Mondes über dem Schwarz der Felsen, der Bäume und Häuser liegt, (in den schönen Worten des Giorgos Seferis) das „Licht aus den Jahren der Kindheit“, Steine mit der Brandung treiben landauf und reden.
Offen ist dieser Brief an Carlfriedrich Claus seit 2006, das heißt unabgeschlossen, nicht zu beenden, aber zu lesen. Das sei wichtig; Bild und Schrift hätten den gleichen Rang, sagt der Künstler. Er wolle erreichen, dass Bilder zur Schrift werden und Schrift zum Bild. Sicher sei indes: Es würde kein Bild, stände da Blödsinn. Aber klar, ja, „nicht jede gute Form passt zum Gesicht der Angst“, es könne nicht sein, das alles immer schlüssig werde. Aber wenn er in guter Verfassung wäre, würde es gut, der Text, der im Bild steht, das Bild ist. Darum schließlich gehe es auch, um den Zustand des Ganzen, aus dem heraus Hegewald seine Arbeit angeht, den Fluss der Sprachen, ihre Erfahrung.

„ICH BIN IST NICHT MEIN NAME“, die Befragung der Zustände des Selbst von 2012 sagt eben auch das: Die Welt will erzählt werden auf eigene, dem Ich und der Welt gemäßen Weise. Philosophie, sagt Hegewald, diese zu bewundernde Unverschämtheit, reiche da nicht. Nur die Poesie schaffe das.
Entsprechend sei das poetische Weltbild von weit größerer Bedeutung als Weltbilder etwa religiöser und wissenschaftlicher Art. Allein durch Kunst und Poesie finde sich der Mensch in diese Welt; „am glücklichsten“, was wohl menschengemäß heißt. Zitat: „Du erklärst mit der Poesie deinen Platz und findest ihn dann auch.“ Daher ist Kunst eine Lebensnotwendigkeit ersten Ranges, das Höchste, das Menschen zur Verfügung haben und Menschen erreichen können, u. a. um sich neu entstehen zu lassen. Es sei wesentlich, diese Sprache immer wieder neu auszubilden. Ohne sie gebe es kein gültiges Bild der Welt. Übers Erzählen stellt Poesie Bedeutung her und erklärt damit Welt, mache sie menschlich handhabbar. Nach Karl Kerenyi, dem großen Mythenforscher und Humanisten, ist eben das eine Eigenschaft der alten Geschichten, die wir Mythen nennen: zu erklären, ohne Erklärung zu sein.
Natürlich wird Welt heute im allgemeinen anders buchstabiert, nach Partikularinteressen unter anderem, angepackt mit den kontaminierenden Zangen der Wirtschaft und eingewickelt in die Folien temporärer oder schlicht behaupteter Gewissheiten. Aber der Zustand dieser Welt gibt Hegewald Recht. Das Höchste wäre es, zitiert er Goethe, einen eigenen Gedanken zu entwickeln, der stimmt. Und fügt hinzu: „Es wäre ein großes Glück für einen Künstler, wenn Goethe sich entschließt, dein Freund zu sein. Und nicht umgekehrt.“
Hier sei auch auf das 500 Seiten Manuskript der Aphorismen verwiesen, das 2018 unter eben dem Titel realisiert worden ist, den auch die Ausstellung trägt: DAS POETISCHE WELTBILD und auf die zwei Aphorismen-Bände, die es bereits gibt.

„GLAUBE NICHT WAS DU WEISST“ von 2015 lässt sich dazu als Kommentar vernehmen. Die Serie arbeitet mit Figurationen, schwarzen und weißen, mit den dunklen, rötlich ausoxydierten Flächen des Leipziger Schwarz und einigen Farbakzenten, uferlos, darf man auch hier annehmen, nicht abzuschließen. Zitat: „Als Künstler vergegenwärtige ich mich ständig durch's Tun in Gegenwart. Gegenwart ist die Summe aus Vergangenheit und Zukunft, ein Zusammenfließen.“ Worte spielen auch hier ihre Rolle, in aphoristischen Beischriften diesmal, aufgesteckten Lichtern, kurzen wie mäandernden Titeln eigener Wertigkeit. Wie auch anders. Hegewald bespielt, befragt, beklopft, variiert und wendet hier Religion, Wissenschaft, Philosophie im Bild, seine geistigen Gründe und Baulichkeiten, seine Traumlandschaften. Der ganze Stapel, sagte der Künstler unlängst vor diesem spannehohen Stapel, sei reine Übung, täglich absolviert, so etwas wie Zen, Zitat: „um im Begriff zu sein“. Er wisse, was Nichts sei, in dem er „etwas“ sei. Frei von Erfolgsdruck unter anderem; er müsse nichts beweisen.

Die Arbeit an der ISIMERIA, der Tagundnachtgleiche, die sich hier als Umkehrkammer im Labyrinth Hegewalds zeigt, begann 2014, absichtslos, ohne Plan. Es ging um Bewältigung, des existentiellen Verlusts der Lebensgefährtin Chistiane und der Gedichte, begonnen und geschrieben und wieder von Zeichnung begleitet im Haus eines Freundes in Thessaloniki. In den Texten agierten (unmerklicher) Wandel, der Schwebezustand des Noch und Schon, der Blauen Stunde. Es flog mir irgendwie zu, sagt Hegewald, so wäre er in diesen Fluss gekommen, gemischt aus den Wassern von Lethe und Mnemosyne, wie ich vermute. Zitat: „Du weißt dir ist nicht alles zugeflogen / Das meiste flog an dir vorbei / Unausgefüllt ist noch nicht abgewogen / Die ganze Welt ein Sack voll Blei“
Erst als die Gedichte beieinander waren – weit mehr als dann im Buch zu stehen kamen – gab es einen guten Grund, das Buch zu machen. Man müsse warten können, sagt Hegewald, ein Künstler müsse Zeit haben und Geduld, erst das mache souverän.
Wann die Arbeit an den Grafiken und damit am Buch begann, lässt sich nicht mehr genau sagen. Ausgehend von 15 Texten aus dem thessalonischen Konvolut und fünf weiteren aus den Jahren danach, waren die Bild-Elemente, ihr Ort, die Formate und der Aufbau zu klären, dann der Farbverlauf von Gelb nach Blau, die nämliche Klammer. Gesucht hat Hegewald nach symbolischen Ding-Formen, die ins Buch eine wesentliche zweite Ebene bringen, Zitat: „dass du dich anhand der Grafiken an die Gedichte erinnerst und umgekehrt...“ Gefunden hat er Tore, Bögen, Rahmen, Kreise, scharfe Schnitte und harsche Abbrüche, Silhouetten aus Furnierholzresten, die ihre eigenen Formen und Binnenstrukturen einbrachten. Geschnitten oder sonst geändert hat er nicht, belassen wie erworben, gingen die entdeckten Dinge ihre Kombinationen ein und in den Holzhochdruck: Was die Natur bildet, Zeit und Arbeit gebildet haben, könne er nicht verbessern. Aber um besser ginge es auch nicht; es ginge immer um gut.
Geworden ist es ein annähernd symmetrischer Bau in 25 Stufen, eine Steigerung von gelbem Einfach in die vier- und fünffache Kombination der Farbformen und Farbstrukturen im Druck und deren mählicher Abbau ins Blaue, hier wie da unterbrochen von Sprüngen, vor und zurück. Diese Drucke zu realisieren, dürfte eine Schinderei gewesen sein, das Ergebnis aber ist spektakulär.
Kunst ist Glück, das Glück diesen Weg beschreiten zu können, sagt Hegewald. Es ginge um die Selbstverwirklichung als Mensch, um die guten Gaben. Er habe das Glück, dass immer wieder Neues komme...
Ein Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit, an deren Gelingen die Grafikwerkstatt Dresden ihren Anteil hat, der Buchdrucker Udo Haufe und die abschließende Buchbindung durch Carla Schwiegk. Andreas Hegewald möchte das gewürdigt sehen; ich solle ausrichten, besser gehe es nicht.

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