Gregor Kunz,
Ausstellungseröffnung Lutz Bleidorn, Franziska Hesse, Tanja Pohl, Dresden, Villa Eschebach/Volksbank-Raiffeisen-Bank, 17.7.12


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,

leicht haben es junge Künstler nicht. Die Kunsthochschulen, die sie verlassen haben, bleiben voll, voller noch sind die Galerien, Museen und Depots. Mit zeitnahen Arbeiten unter anderem, die eine kollektive Kunstausübung vermuten lassen, interessante Positionen sind oder sein können, geht man nur nah genug heran, gut oder besser noch: wesentlich. Kunst wäre dem Menschengeschlechte notwendig, und nur dadurch solle sie wachsen, „weil das, was durch sie gesagt wird, auf keine andere Weise gesagt werden kann“, meinte der junge Künstler Philipp Otto Runge vor gut 200 Jahren. Mengen und Massen haben in der Welt ihre Wahrnehmung und wirken, in der Kunst aber führen sie eher zu nivellierendem Rauschen und Verdrängung, stehen sie der Wahrnehmung und Wirkung und vermutlich selbst noch der Entfaltung im Weg.
Hinzu kommt: Die Kunst aller Zeiten und Zonen steht zur Verfügung, real und über die Medien, ein offenes Depot und ein Steinbruch gigantischen Ausmaßes. In den 200 Jahren einer fraktionierten Moderne sind Mittel, Werkzeuge und Methoden ausgeprobt und immer wieder erweitert worden, desgleichen das Feld des Kunstwürdigen. Verwiesen aufs eigene Ich – eine höchst unsichere Variable - und an eine Gesellschaft in Zerfall und Wandlung, deren Teile sich dem Zugriff immer wieder entziehen, stehen die Künstler heute vor, zwischen aller Kunst vordem, oft mit wenig mehr in den Händen, als ihren Karren, den sie schieben dürfen. Die Not des Sagens war vielleicht nie größer.
Eine menschliche Grundkonstante und ein Bedürfnis, aber auch seltsam abgespalten, ist Kunst heute was? In dieser hochkomplexen Gesellschaft eine paradoxe Spezialisierung mit reduzierter, auslaufender, sich immer mehr verdünnender Verbindung zum Kult, zu magischem Denken und doch immer wieder nah am mythologischen Erzählen, gewiss. Und ein ungewisses Wozu. Der Markt sagt nur, was gerade geht bzw. verlangt wird: stapelbare Sammlerware, die immerhin Kunst sein darf, der Kunstbetrieb redet von Preisen und Rängen, Preisgeldern und Dienstjahren, d.h. selten über Kunst und wie jede feste Institution häufig von sich, von Zugehörigkeit und Hierarchien.
Die Gesellschaft schweigt oder meldet sich per Facebook: Das gefällt A, B oder C. Hallo? Ist da jemand? Oder schaut wieder kein Schwein hin?

Kunst hat mit Hunger zu tun, in mehr als einer Hinsicht. Welcher Art der ist, wird man Lutz Bleidorn, Franziska Hesse und Tanja Pohl fragen, genauer: wird man ihre Bilder, ihre Malerei und Zeichnung befragen müssen. Was gehen sie an und wen, wenn sie angehen, und was betrifft, wenn sie betreffen, was haben sie verlangt und was verlangen sie vom Betrachter?
In den Landschaften Pohls agiert Arbeit, akkumuliert und aufgegeben, verharren gebaute, aufgetürmte Arbeitsstrukturen im gedehnten Moment des Zerfalls, wird Arbeit aufgehoben in Arbeit, Trauer und Erfahrung, in einer Art zweiten oder dritten Natur. Nah verwandt sind ihre Menschenbilder, wie Häuser gebaut sind sie den Industrien, nein, nicht entwachsen, sondern fortgesetzter Teil. Häuser, wenn sie einmal leer sind, zerfallen, und auch in diesen Köpfen, darf ich annehmen, wohnen Wissen und Glaube, Liebe und Hoffen, Ängste und Wünsche, komfortabel eingehaust oder immer am Umziehen, zur Untermiete in den Gängen, im Keller, unter Herrn Effizienz und neben Frau Flexibilität... Wenn sie leer sind, werden auch sie bald Ruinen sein, wie es viele gibt im Lande. Die Frage, in was für einem Land, in was für einer Gesellschaft wir leben, wie diese Welt hier beschaffen ist und was von ihr bleibt, liegt nahe vor diesen Bildern.
Menschengeprägte Landschaft fassen auch die Bilder Hesses, ältere Kultur- und Arbeitsprägungen im Zugriff der Vegetation, die mittlerweile als schön verstanden werden, oder den jüngeren Rückzug ins private Gehege einer ex-Landschaft, über der immer eine große Hand zu schweben scheint, aufwärts oder demnächst schwer herab... Menschenleer sind beide, aber, weiß Gott, nicht ohne Dämonen, was Gründe haben muss, die nicht allein bei Hesse liegen. Landschaften und menschliches Tun fassen Verluste und heben sie auf; in Momenten des Harrens gebannt und gebaut, sind sie gesammelte Energie und präsentierte Hüllen; in deren Strukturen Trost steckt wie in Malerei und Zeichnung auch, irgendwo zwischen Dennoch und Aber... Landschaften wirken, sagt Hesse, sie übersetze, sehe in der Landschaft und sehe, was das Bild von ihr wolle, darauf reagiere sie. Ähnlich Pohl: Was im Inneren ist, das müsse heraus. Sie sehe, was es werde, kann oder will, befrage ihr Material und reagiere. Bild und Künstler arbeiten miteinander im respektvollen Dialog.
Ähnlich auch Bleidorn: Im Wachstumsprozess seiner Bilder hätten Aktion, Provokation und Reaktion gut miteinander zu tun. Auch hier sind es wieder Landschaften, bewohnt von Leuten, gewiss, man sieht es an den Häusern, und bewohnt von vagabundierenden Flecken, die rastlos am Ort vibrieren, von unruhigen Geistern, gebannt zwischen Getrost und Ungetrost. Die Elemente im Bild lassen sich benennen oder auch nicht, als Sonnen, Mond, Hang, Lichtgänge, Staub, Vegetation, Architektur, Relikt, Berg, schneller Schritt und Kindheitsmoment. Miteinander und durchaus im Streit, machen sie eine Struktur aus, fassbar als Sound, Stimmen und Stimmungen, als die Gleichzeitigkeit gedachter Orte. Das Wesen der Welt, das Wesen der Natur sollten hier anwesend sein in einer Art imaginären Sprache, die formuliere, was er, der Maler, anders nicht formulieren könne. Ein Bild machen heißt mit Wirklichkeit umgehen, sowohl kollegial als rivalisierend eine Wirklichkeit herstellen. Imaginieren, sagt Oktavio Paz, heiße: über sich hinausgehen . „Als ein Wesen, das imaginiert, weil es begehrt, ist der Mensch fähig, die ganze Welt in ein Bild seines Verlangens zu verwandeln.“

Drei Künstler und dreifach ist Landschaft ein zentraler Begriff. Das gibt zu denken. Landschaften dauern wie wenig sonst, so wollen es die Schicht unterm Bewusstsein und die darüber wohl auch, Landschaften rufen scheinbar Sicheres auf, sind Sinn an sich, Schönheit und Antischönheit. Sicherheit und Dauer sind menschliche Grundbedürfnisse und wie deren Übersetzung in gesellschaftliche Verhältnisse – Recht oder gar Gerechtigkeit – nie ganz, nur temporär oder auch gar nicht zu haben.
Landschaft transportieren Sinn, seit Caspar David Friedrich und die Moderne hindurch, ob nun aus real existenten Umfeldern bezogen und montiert, abstrahierend abgeleitet oder zusammengeführt, entwickelt, erfunden. Sinn und Sinngebung aber wurzeln wesentlich in den Verhältnissen der Gesellschaft. Landschaften, mit Farbe auf Leinwand, mit dem Stift ins Papier gesetzt, sind Symptome, auch schon seit längerem, für Defizite unter anderem, Verluste, Kränkung, Wünsche.
Die Landschaften von Bleidorn, Hesse und Pohl widersprechen, meine ich, jede für sich und hier nun miteinander im Gespräch: Der Ortlosigkeit, dem Verschwinden, der Enteignung, den Parzellen der Verwertung, den Ritualen der Unterwerfung, dem üblichen Gang der Dinge. Sie widersprechen mit dem gebotenem Ernst und auch einer gewisssen Freude, setzen das ihre dagegen als auch dafür. Der eingangs erwähnte Hunger in der Kunst dürfte mit Sinn zu tun haben und mit dem Verlangen nach Wesentlichem. Mir gefällt das.

Damit genug der Interpretation, von meiner Sicht auf die Dinge. Was sie, verehrtes Publikum mit den hier versammelten Arbeiten anfangen, werden Sie selbst herausfinden. Bilder, das ist so ihre Art, wenn sie taugen, brauchen Köpfe, Augen, die sehen und das Potential unterm Schädeldach, um ihr Potential zu entfalten, das helle wie das dunkle... Den Veranstaltern ein Kompliment für die Hängung und allen miteinander noch einen schönen Abend.

zurück