Gregor Kunz, Ausstellungseröffnung:
Tiefgedruckt II, 10 Jahre Grafikkurs im Kollwitzhaus, 18.Juni 2016, Moritzburg



Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,

Drucken ist ein Abenteuer. Drucken wäre ein Rausch des Machens und gleichzeitig die Kontrolle darüber. Im Drucken begegne der Zufall dem Sinnvollen. Über diese Bemerkungen des Holzschneiders HAP Grieshabers lässt sich gut meditieren.
Der Mann hat zeit seines Künstlerlebens gedruckt, mit großer Leidenschaft und wohl noch großerem Können seine geschnittenen Holzstöcke mehrfarbig auf teils enorme Formate gebracht. Er sollte also Bescheid gewusst haben: Rausch und Kontrolle ergänzen sich im Nacheinander, aber unzuverlässig, und gehen sonst eher nicht zusammen. Spricht da eine Erfahrung, eine Befürchtung oder doch eher ein Wunsch? Oder redet das Drucken selbst, das ja zwei Gesichter hat und zwei Daseinsweisen, zur Kunst hin und von der Kunst weg?
Die klassische Definition des Druckens weiß erst einmal nichts von der Kunst. Drucken wäre demnach das Auflagen-Herstellen, das Vervielfältigen von Texten, Grafiken und Bildern durch Abdrucken einer mit Druckfarbe versehenen Druckform auf einem Bedruckstoff mittels einer Druckkraft, welche durch ein Gegendruckelement der Druckmaschine erzeugt wird. Das Vervielfältigen einer gesetzten, gleichbleibenden, mittleren Qualität ist eine Funktion der Industrie, im Bereich Druck wäre das also das massenhafte Erzeugen von Kopien – ob das nun Banknoten sind, Ausstellungsfleyer oder Zigarettenschachteln. Mit dem Rausch hat das nichts und mit Kontrolle hat das sehr viel zu tun, notwendigerweise. Mit Kunst kann das zu tun haben, mit ihrer Verbreitung etwa, auch mit ihren Surrogaten. Kunst ist es nicht.
Die andere Art des Druckens, das Drucken in vorindustrieeller Handarbeit, ist der Kunst nahe, war es von Anfang an, als Mittel und selbst noch als Teil.
Der erste Druck war die Hand eines Jägers, in Farbe getaucht oder mit Farbe besprüht, gestemmt gegen den dunklen Fels als Stempel oder Schablone. Auf diesem Fels waren dunkle Linien und farbige Flächen zu sehen, Tiere und Zeichen, Bilder, die etwas zu sagen hatten, etwas unbedingt sinnvolles. Auch die Hand, die zwischen ihnen verblieb als farbiger Abdruck oder farbig umzogener Schatten, hatte ihren Sinn. Ich war hier, lautet eine verbreitete Deutung oder kürzer: Ich. Das kann stimmen, aber nur unter anderem. Ich denke, es ging hier, wie in den Bildern der Eiszeitjäger auch, nicht um Abbilder und Zeichen, sondern um den Ein-, den Zugriff, Kommunikation. Die Tiere wie der Handabdruck standen auf der Grenze und für die Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, für sich und mehr noch für anderes. Sie sprachen und sprechen von Wünschen und Ängsten, sie deuten die Welt und verhandeln mit dem Unbekannten. Es müsse da unbedingt mehr sein als Essen, Trinken, Sex und Arbeit, Kinder, Schlaf, an Gutem wie an Bösem. Darüber wurde und wird verhandelt.
Später, in einer komplexeren menschlichen Welt, wurden die Ängste und Wünsche nicht weniger, aber das Drucken einfacher. Töpfer modellierten und Steinschneider schnitten: Götter, Monstren und Daimonen, gebundene Zeichen, Zahlen und stumm fixierte Laute, Worte. Irgendjemand drückte das dann in ein Klümpchen Ton am Hals einer Flasche, ein banales Etikett, und doch etwas, das sich nicht selbst genügt und die Entzifferung verlangt. Etwa: Dieser Wein gehört dem König, Finger weg, sonst geht es dir schlecht... Oder: Honig für die Herrin des Labyrinths, damit es uns gut ergehe. Viertausend Jahre später suchen die Archäologen nun ihrerseits diese Siegel und Abdrücke zu lesen und kommen auf anderes, wenn sie aufs Gleiche kommen. Wer war diese unterirdische Königin? Ariadne? Dann ist Dionysos ganz in der Nähe.
Man sieht: Machen und Rausch und Kontrolle sind auch hier beieinander in schöner Gemengelage; was fehlt ist nur der Zufall. Zufall ist das nicht. Kunst wurzelt im Elementaren der menschlichen Existenz und ist schon von daher ein menschliches Grundbedürfnis. Denn Grieshaber redet von Kunst, wenn er vom Drucken redet.
Der Kunst nämlich hat sich das Drucken vor einigen 500 Jahren beigesellt, im vollen Bewusstsein und einem manifesten Bedürfnis folgend. Genauer: Eine Art des Druckens, die über das Auge, die Hand und den Kopf geht, dienend und fordernd. In den Worten Maja Nagels: ein Drucken eigener Würde.

Was es damit auf sich hat, habe ich vor 15 Jahren bei Jochen Lorenz erfahren, dem Drucker der Obergrabenpresse in Dresden, so wie es vor 10 Jahren der Grafikkurs bei ihm erfahren hat, angestiftet von Maja Nagel. Einen Tag lang habe ich zugesehen, wie er und die schwarze Kunst miteinander im Machen den Sinn verhandeln, über den Anfang und etliche Folgen von dreißig Druckvorgängen „im Plattenton“... Er zeigte mir die Platte, radiert von Petra Kasten: einen See von innen, Anfang November. Dann nahm er den Spatel und legte damit das eigens gemischtes Schwarz auf, an vier Stellen. Die Farbe verteilte ein vierkantiges Stück weicher Plaste, der Länge nach und der Breite. Rakeln nennt man das, sagte er, eh er einen Ballen Verbandsmull griff und langsam die Farbe verrieb, die schwarzen Streifen in dunkles Gewölk auflöste und in jede Vertiefung trieb. Dann waren es die Handflächen, die übers Metall fuhren, von oben nach unten, quer und noch einmal extra die Ränder ab. Die Zeichnung war jetzt deutlich zu sehen, die Platte schimmerte seidig grau. Hier, sagte er, ist noch zuviel Farbe drauf: „Ein bissel muß ich sie noch streicheln“.
Den Platz der Platte auf dem Drucktisch markierten Klebestreifen. Lorenz passte sie sorgfältig ein und legte gefeuchtetes Papier auf, griff ins Speichenrad und zog den Drucktisch an die Walzen heran. Dann legte er den Filz auf und drehte alles miteinander durch die Walzen. Im Filz zeichnete sich schwach ein Viereck ab. Lorenz schlug den Filz über die obere Walze und versorgte mit papierbewehrten Händen den Druck zwischen zwei Pappen. „Es ist gut, wenn es gleich klappt. Ein beruhigendes Gefühl.“ Dann begann das Spiel von vorn. Jeder Druck, sagte Lorenz, ist was eigenes. „Wenn du die Platte nimmst, und ziehst durch die Druckereien, kommt jeweils was anderes raus.“
Dreißig Blatt von einer Platte sind viel für einen Tag. Auch wenn es ein gängiges Format ist. Lorenz druckte kleinste, kleine, große bis sehr große Formate und die gegebenenfalls in „Chinacoll“. Das verträgt weder Eile noch Unruhe, Hast, läutende Telephone, unruhige Hände, Ärger und Verdruß. Drucken ist Alchemie. Die Zutaten sind bekannt: Berufs- und Lebenserfahrung, ein Elefantengedächtnis, Geduld und Spielfreude, Materialgefühl und Materialgerechtigkeit, Temperaturgehör, ein Farbgesicht und Treue „zwischen allen Stühlen“. Dann das, was nicht gelehrt werden kann und gelernt werden muß. „Wenn jemand fragt: Das und das möchte ich gern... Dann überleg ich und krieg das raus... Drucken ist ein Märchen. Aus weißem Papier was zaubern.“ Also sprach der Meister Jochen Lorenz, verstorben 2012 und Spiritus rektor des Grafikkurses in Moritzburg,...

In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung viele Besucher und Ihnen einen schönen Abend


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