Gregor Kunz,
Eröffnung Nikolai-Kirche Freiberg, 7. Januar 2012
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein angenehmer Anlass hat uns unterm Dach von Sankt Nikolai zusammengeführt, Bilder, zwischen denen herum gegangen werden darf, die anzusehen sind, zu bedenken und womöglich auch zu betreten, eins nach dem anderen.
Der Verein Pi-Haus hat diese Arbeiten über einen Kunstwettbewerb zusammengebracht, mit redlicher Mühe und redlichem Verdienst, aus Freiberg selbst und der weiteren Umgebung, aus Partnergemeinden und Partnerregionen. Zum zweiten Male schon. 2008 stand über der Ausschreibung „Kunst in der Tiefe“, im Jahr 2011 wurden „Farben und Formen des Glücks“ aufgerufen und damit ein weites Feld betreten.
Mit einigem Recht, das man im Stadtjubiläum finden kann, aber nicht nur dort. Denn auch das Weltgeschehen – Krisen und hilflose Kriseninterventionen nach der Methode Wasch-mir-den-Pelz-aber-nimm-kein-Wasser legt Fragen nach dem Glück nahe, einigermaßen drängend, will mir scheinen. Anders als Farben, Bankenschirme und Geld in Tüten ist Glück immer eine knappe Ressource und seine Vermehrung offensichtlich kaum oder nie die Sache herrschender Ökonomievorstellungen gewesen. Hinzu kommt: Von allen Arten des Strebens nach Glück erscheint mir der Zugriff mittels Farben und Form nicht nur als einer der sympatischsten, sondern auch zukunftsfähig wie wenig sonst. Dieser Zugriff gibt, was er nimmt, reichlich zurück, vor allem dann, wenn er glücklich ist.
Glück und Aneignung müssen einander nicht ausschließen, wie der heilige Nikolaos von Myra für seine Zeit wusste – der kannte schließlich die Welt – aber doch nur wenn ein Geben hinzukommt in einigermaßen verlässlicher Breite. Diese Balance wäre für unsere Zeit neu zu definieren. Gute Bilder geben ein Beispiel, wie es gehen kann und eine gute Ausstellung ist ein Beispiel wie es geht. (Man verzeihe mir die Abschweifung, es wird nicht die letzte sein...)
Vierunddreißig Künstler aus fünf Ländern haben sich mit 90 Arbeiten beworben, von denen hier noch 28 mit 42 Bildern zu sehen sind, ausgewählt von der Schwarmintelligenz der fünf Juroren. Ob sie genügt hat, steht wie immer dahin.
Merkwürdig und nach der zweiten Durchsicht der Arbeiten immer merkwürdiger ist mir der hohe, der geradezu dominierende Anteil aufgefallen, den die Landschaft im weitesten Sinne hat, aus real existenten Umfeldern bezogen als auch abstrahierend abgeleitet oder zusammengeführt, entwickelt, erfunden. Hier liegt, denke ich, eine Stärke der Ausstellung, die zugleich auf eine Schwäche verweist. Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis und wie dessen Übersetzung in gesellschaftliche Verhältnisse – Gerechtigkeit – immer nur temporär zu befriedigen. Glück und Sicherheit haben miteinander zu tun und lassen sich in Landschaft sehen, Schönheit sowieso und auch Trost. Aber das reicht nicht, nicht weit genug jedenfalls und nicht auf Dauer. Die Möglichkeit des Glücks und der Sinngebung wurzeln wesentlich in den Verhältnissen der Gesellschaft. So gesehen ist die Dominanz der Landschaft an den Wänden ringsum auch ein Symptom, das deutliche Zeichen eines Defizits: Verweile doch, du bist so schön. Schöner als was? Die hier versammelten Bilder werden nicht umhinkommen, darüber zu reden.
Es gibt in einigen der Bilder merkwürdige Sprünge oder auch ein Innehalten, sichtbar oder auch gut verborgen. Es gibt Farben von schöner Tiefe und gelegentlich eine merkwürdige Vorsicht/eine Umsicht, die der Ratlosigkeit nahe kommt, gerade auch im geläufig gut gemachten, in der Feier des Könnens. Es gibt das sensible Gespür für Materialgerechtigkeit und die Freude an den Möglichkeiten des eigenen Tuns, am glücklichen Moment des Findens. Und es gibt verbreitet die Suche nach dem Gegenstand, sagen wir: der Landschaft hinter der Landschaft.
Bilder sind oft wie offene Fenster, offene Türen und die Künstlerin, der Künstler sind die ersten, der hindurchsehen und hindurchgehen müssen. Was er dort findet, ist nicht unbedingt das, was er gesucht hat, ist womöglich das Unbekannte, das Niegesehene... Eine Antwort auf noch nicht gestellte Fragen zum Beispiel, das Angebot und die Kritik einer Gegenwelt. Ein Bild machen heißt mit Wirklichkeit umgehen, weniger kollegial als rivalisierend eine Wirklichkeit herstellen. „Der Künstler“ sagt André Malraux, „ist nicht jemand, der die Welt transkribiert - er ist ihr Rivale.“ Aus der so gewonnenen Form resultiert Sinn, und Form wie Sinn bestimmen, ob der potentielle Betrachter folgen mag, Überraschung, Freude, Bestürzung, Erkenntnis zu teilen oder auch etwas anderes zu finden. Auch dazu braucht es Mut.
Nikolaos übrigens hatte den. Als er Bischof von Myra werden sollte, nahm er seine Erbschaft im Ganzen, teilte sie, knetete die Teile gut durch und formte goldene Kugeln, mit denen er nächtens armen Mädchen die Fenster einwarf. Der Legende nach wählte Nikolaus diese rabiate Art der Verteilung aus Bescheidenheit und der öffentlichen Moral wegen. Meiner Meinung nach hatte er Spaß am beherzten Griff und Freude am Abwerfen von Lasten, einen guten Begriff von Glück. Leider sind in den darauf folgenden 1700 Jahren Juden, Christen, Muslime, Marxisten und Atheisten diesem schönen Akt der Befreiung nur selten nachgefolgt. In der Kunst jedoch findet sich diese Handlung immer wieder, obwohl doch der Heilige Nikolaus, glaubt man dem zuständigen Kalender, mit der Kunst nicht viel am Hut hatte.
„Das einzige, was ein Kunstwerk kann“, meinte Heiner Müller, „ist Sehnsucht wecken nach einem anderen Zustand der Welt.“ Natürlich kann, darf und sollte Kunst mehr: Wollen vor allem, der Welt etwas Wesentliches hinzufügen, das anders nicht zu haben ist. Aber der Satz ist nicht falsch und seine Forderung gefällt mir. Die Sehnsucht nach einem anderen Zustand der Welt, ob sie nun in positiver oder negativer oder verlorener, versetzter Utopie sich ausspricht, ist die Sehnsucht nach Glück. Die Welt – man ziehe um Freiberg den größtmöglichen Kreis: die da also – ist in keinem guten Zustand und dass wir gerade in einer leidlich gut eingerichteten Ecke siedeln, ändert daran nichts. Die Welt kann Glück in jeder Form und Farbe gut brauchen. Ich beglückwünsche die Veranstalter und ihre Unterstützer zu dieser Ausstellung und wünsche ihnen Kraft für die nächste. In diesem Sinne... Vielen Dank.
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