Das Ding und sein Heißen, der Mensch und sein Name. Eine brutalstmögliche Aufklärung

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Jedes Ding heißt und meistens richtig. Das ist gut so und notwendig, wenn auch hochproblematisch. Diese Welt braucht ihre Henkel und Namen sind Schicksal. Steine, beispielsweise, wären ohne ihren Gruppennamen von verminderter Brauchbarkeit, unzutreffend gewissermaßen: Das Ding, womit man schmeißt, draufsteht und wo an den Kopf fliegt. Haben Sie oder haben Sie nicht? Dinge, die nicht heißen, existieren zwar trotzdem, gelangen aber nicht zur Kenntnis, leben also ihren Lenz im Vorbewussten, lustig und fidel. Schwarzgeld? Jeder x-beliebige Inhaber einer Vergangenheit zuckte mit Recht die Schultern. Wie immer wieder einmal zu hören ist, wird denn auch weiter intensiv an diesem Problem gearbeitet, an einem automatischen Wortschatzdowner unter anderem, der der Linken jedes Wissen über das Tun der Rechten ersparen soll und umgekehrt. Mit dem Wegfall der Unterscheidung in brutalstmögliche Aufklärung und Gedächtnisaussparung darf also demnächst gerechnet werden, desgleichen mit dem gemeinsamen Untergang der Widerparts unerlaubte Kriminalität und uneidliche Vorteilsnahme. Ehrenwort! An Steinen weiß man, was man hat.
Der Ahorn heißt nach seinen Blättern, die Linde nach ihrem Bast, die Birke nach ihrer Farbe. Aber warum, in drei Teufels Namen, heißt ein Ding, das immer zur Unzeit kaputtgeht, Glühbirne? Erdapfel eine Feldfrucht von geringer Haltbarkeit? Ein Unding Tischspritzbrunnen? Weshalb heißen Unternehmen, die mit Zeitvernichtung befasst sind und der Kommunikationsverwirrung obliegen, demonstrativ Post & Bahn? Eben deshalb: Die Sprache lügt nicht und Namen machen Schicksal.
Ist es vorstellbar, dass bereits die Erfinder der Post in voller Absicht nach diesem Namen gegriffen haben? So gesehen sollte, wer einen Brief aufgibt, auch wissen, was sich da tut. Postboten, als es die noch gab, überbrachten Botschaften und hielten sich ansonsten raus. Briefträger immerhin trugen Briefe herum und öfter auch an ihren Ort, ein wissendes Lächeln im Gesicht, zwischen hämisch und verhärmt unentschlossen festgezurrt: Hier spricht die Flicht: Was'n Akt mal wieder! ZustellerInnen hingegen stellen zu, Tagesabläufe und Biographien, Toreinfahrten und den Frühlingshimmel... Soweit die Postboten nicht von den Hunden gefressen wurden, müssen sie von ihren Nachfolgern aus ihren ökologischen Nischen verdrängt worden sein. Wie das zuging, harrt noch der Mühe unerschrockener Aufklärer. Anzeichen aber geben auch jetzt schon dem Kundigen Auskunft. Immer öfter erhalte ich ungünstige Bescheide und besorgte Anfragen. Unbekannt verzogen wäre ich demnach, nicht mehr vorhanden, eine Fiktion, eine Leerstelle, ein Gespenst. Muss ich hinzufügen, dass ich in meiner Jugend ein Postbote war? Glaubte ich an Voodoo, ich wäre längst tot.
Namen haften, prägen und fordern, unter Umständen ein Leben lang. Auch und gerade das eines Menschen. Schließlich, nur eins davon hat jeder und nicht zwei oder gar ein Dutzend zum probieren. Namen sollten mithin einigermaßen schadstoffarm in diese hochkomplizierte Gleichung aus diversen Unbekannten eingepasst werden: Vorsichtig! Geht das auf in der Zukunft, dann war's gut, sogar richtig, nicht ganz falsch, so lala, den Umständen entsprechend. Früher gab es für diesen Zweck den Heiligenkalender, der Zuständigkeiten wie Anforderungen einigermaßen regelte. Heute ist Namengebung Arbeit im unübersichtlichen Grenzgebiet von Notwendigkeit und Zufall, und das Finden eines guten Namens rührt an Magie.
Wenn es denn so begriffen würde. Was die kohortenweise Namenabgabe via Schlager und Fernsehserie mit Magersucht, Bulimie und sonstigen selbstverletzenden Verhaltensweisen junger Menschen zu tun hat, das hätte eigentlich längst einmal ernsthaft untersucht werden müssen. Allenthalben stolpern all diese Mandys, Kevins, Jennifers, Meritts und Anselm-Leanders über ihre eigenen Füße, ihr Schicksal am Buckel wie ein Versprechen, fremd noch der eigenen Nase, in Erwartung des großen weißen Glücks oder eines Kühlschranks, der es richtet. Zu retten ist da eher nichts, selbst wenn die höheren Wesen im Bündel aufmarschierten. Wie heißt Du? Vergiss es! (Gregor Kunz, 2001)


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