Ein schöner Tag, blond und
blauäugig, klar und schneidend. Ein Tag mit weißen Dächern, der den
Januar zitiert. Wenn nicht alles täuscht, haben sich die
Leistungsträger in der Bonner Koalition nun doch über das Frühjahr
hergemacht. Frühling für alle? Wo gibt's denn so was! Leistung muß sich
wieder lohnen und bezahlt machen und so weiter. Der Tag fängt gut an.
Eigentlich müßte ich sofort an den Schreibtisch, aber ohne Kaffee geht
das nicht. Ich starte den Computer, koche Kaffee, hole die Zeitung,
trinke Kaffee, lese, blättere, rauche. Ginsberg ist gestorben, meldet
das Blatt und Hermlin ist gestorben, meldet der Rundfunk. Das ist
traurig. Ich sehe im Spiegel nach, wie es um mich steht und sehe
jemanden, der dringend gekämmt werden muß. Ich kämme mich und denke:
nun aber los! Eine Zeile reingehackt ins Brett und der Text rollt als
Woge, spritzt als Springflut, marschiert energisch und entschlossen und
ergibt sich nicht. Wie komme ich nur drauf? Natürlich hat General
Cambronne nicht den heroischen Unsinn von sich gegeben, der dann in den
Lesebüchern zu stehen kam: Die alte Garde stirbt, aber ergibt sich
nicht. Was er sagte, war schlicht und ergreifend nicht zu verstehen:
überall Schüsse und Schreie. Was für eine Scheiße!
Noch einen Kaffee, eine vierte oder vierzehnte Zigarette. Der
Papierstapel auf dem Fensterbrett, dieses rätselhaft wuchernde
Monstrum, müßte bei Gelegenheit sortiert werden. Müßte er nicht? Jetzt
nicht, ich habe zu tun! Weiter im Text, mach hin, Alter!
Noch einen Kaffee? Die Zigaretten sind alle. Schuhe anziehen, Jacke
anziehen, das Portemonnaie suchen. Den Schlüssel einstecken! Eigentlich
müßte ich noch zur Sparkasse und dringend zum Zahnarzt. Aber jetzt
geht's nicht, die Arbeit wartet. Treppab, übern Hof, links schwenkt,
noch mal linksrum: "Guten Tag"; "Kahro?"; "Szwei?"; "Ja, zwei.";
"Achssechssigk."; "Bitte"; "Danke"; "Tschüs." und retour. Das bringt
unter Freunden zwanzig Minuten. Abzug. Das Leben ist ein Hauch nur, wir
leben für den Bauch nur... Tralala!
Nun aber: "Ein schöner Tag, dunkel und großäugig, von Rauch glasiert
und schneidend wie ein brüchiger Nagel. Ein Tag mit weißen Dächern, der
den Januar imitiert. Wenn nicht alles täuscht, gibt's Frühling für
alle..."
Apropos. Wer seine Triebe unterdrückt, sagt der Vogel in meinem Kopf,
der brütet Pestilenz. Blake hat das gesagt, sagt der Vogel und nickt:
Auch wenn es nur die Scheiße ist, die drückt, so gib ihr nach. Im
Stadtmagazin steht nichts übers Wetter, einiges übers Kino und fast
alles über die männlich-weiblichen Frontverläufe des Vormonats. "Männer
haben Angst vor mir!" Das kommt häufiger vor als man denken sollte und
wird, nein muß, seine, besser: ihre Gründe haben. Heilige Zelda, bitte
für uns. Abgesehen davon, daß Respekt eine der vornehmsten menschlichen
Eigenschaften sein sollte, jeder Kreatur, selbst der Nacktschnecke
gegenüber und dem Regenwurm, abgesehen also davon, hinterläßt Respekt,
einmal abhanden gekommen, nichts als ein strahlend weißes Loch. Der
Respekt vor den Toten, hab ich unlängst gelesen, kommt immer zu spät.
Und was heißt: "Euch Männer"? Vermutlich, daß zwölf auf ein Dutzend
gehen, was ja sein kann, aber öfter nicht ist. Klug ist das nicht. Ach,
wär ich mir nur sicher. An die Arbeit, hinein in die Große
Selbstbegegnung! Mensch!
"Ein schönerer Tag könnte werden, blankäugig, geschärft und treffend.
Ein Tag mit hochgeklappten weißen Dächern, die den April grüßen. Wenn
nicht alles täuscht, hat das Frühjahr den Frühling hervorgebracht.
Frühling für alle? Das gibt's!"
Es ist 15 Uhr 27, die Sonne scheint, die Fassaden strahlen, als
kriegten sie das bezahlt, die Wolken - weiß, grau, graublau, violett -
reden mit Schneebier Tacheles, die orangen Kräne überm Bischofsweg
zeigen dem Himmel den Finger. Meine Meditationsbirke schaut verdeckt,
vergrübelt, skeptisch. Wie geht's uns, im speziellen und überhaupt?
"Ich trage die närrische Krone des Mangels an Ignoranz und etwelcher
Weisheit/ Jeder von uns ist Partisan" Danke, Allen Ginsberg &
Stephan Hermlin. Und Adieu. (Gregor Kunz, 1997)