Die junge Frau sprach laut
in ihr Handy, sehr deutlich, selbst für das Trockenbankett eines gut
gefüllten Bahnsteigs und zu laut jedenfalls für diesen ruhigen
Sonntagnachmittag. Die Worte waren gut zu verstehen - fast alle - und
verrieten den Gegenstand, den Gegenüber, den Partner. Du Arsch, sagte die junge Frau - traurig, fest, mager und streng - und bewegte ihre freie Hand unterstreichend im Irgendwo: Du
Arsch! Du bist der größte Arsch, der mir über den Weg gelaufen ist, in
den letzten zwei Jahren. Als ich dich kennengelernt habe, da hab ich
mir was anderes vorgestellt...
Man kennt sich also seit zwei Jahren, dachte ich mir, und hat jetzt
das. Zwei Jahre, das klingt präzise. Hätte ich nachgefragt - nicht nach
dem Warum, nur nach dem Wann - und hätte sie geantwortet, dann wäre die
Antwort womöglich noch präziser ausgefallen. Kennengelernt, hätte es
heißen können, kennengelernt haben wir uns im Sommer vor zwei Jahren,
im Juli im Dortwo (Disko, Dartclub, Donnerschlag), am 27., um genau zu
sein, Sonntagnachmittag gegen Sechs. Dem Blickkontakt folgten die Worte
und die Verbindlichkeiten nach der Handlung, eins gab das andere, oder
war es grad umgekehrt?
Wie stellst du dir das vor? Ich sitze zu Hause und putze den ganzen
Tag und mache dein Zeug und koche, und wenn Du dann kommst, so mal eben
wenn's dir passt, zwei Stunden später, dann stell ich dir das Essen
hin, ja, so hast Du dir das vorgestellt... Jede Beziehung hat ihren
Anfang in der Begegnung von Fremden und ihrem Begehren, und dieser
Anfang heißt dann Kennengelernthaben, warum auch immer. Was folgt ist
ein Kennenlernen sich zur Kenntlichkeit auswickelnder Partner und noch
öfter eine verspannte Frage: Wer wen?
Was er sich vorgestellt hat, wissen wir nicht. Eine gewisse Harmonie
wäre als ungefähres Modell vorstellbar, und sei es die fatale Harmonie
einer Hierarchie. Aber, so sagt eine verbreitete Erfahrung, er hat es
ausprobiert und siehe, es ging ganz leicht und diesen Gang. Er hat eine
Rolle übernommen - seine, darf vermutet werden, zumindest eine die
passt - von der es jetzt sicher zutreffend heißt: Du Arsch. Die ihre
dürfte demnach auch einige Namen haben, aber die waren nicht zu hören.
Verbundenes Opfer wäre eine klassische Mustermöglichkeit bzw. der
berühmte Griff ins Klo in Folge, auch die-Frau-die-wahnsinnig-macht,
diesmal mit ihrem Gezeter, ihrer Eifersucht, ihrer Nörgelei. Der Punkt ist, dass die die größte Hure ist, die überhaupt rumläuft in der Gegend.
Wenn die Verliebtheit endet, könnte die Liebe anfangen oder etwas
anderes, in Kenntnis der Sachlage und der Zwänge gewissermaßen. Wenn
das Verliebtsein endet, sollte es wenigstens beim Respekt bleiben, ohne
den eh nichts geht im menschlichen Leben. Du hast gesagt, dass du nicht fremd gehst, das machst du nur wegen mir. Ey, sag mal, bist du behindert... So definiert, wird das wohl stimmen.
"Kennt Ihr Euch überhaupt?" fragten in den 60ern ff. Plakate bei der
kopulationwilligen Bevölkerung an und meinten, wer sich nicht kennt
oder kennen will, sollte wenigsten einen Gummi überziehen. Blöd war das
nicht und im übrigen ein running gag noch in den 80ern. Heuer erfüllte
wohl das eisenbahnunglückgerechte und gleichfalls helle
Thomas-Mann'sche "Das geht nicht gut, das geht nicht gut, das geht
keinesfalls gut." den selben Zweck.
Die junge Frau sprach noch eine Station weit weiter, heftig, mit keineswegs angenehmer Stimme, aber durchaus souverän: Du hast... Ich habe... Dann hast Du gesagt... Ey, spinnst Du? Dann, angegriffen, der Wiederholungen müde, resignativ und etwas leiser: Das stimmt überhaupt nicht! Nee. Ihre letzten Worte waren: Naja, Nagut, Ja, Tschüs. Bis dann.
Sie steckte ihr Handy weg und stieg aus, trat in die Fortsetzung der
Geschichte über, die nur für das zurückbleibende Publikum keine
Fortsetzung haben würde. Leider. (Gregor Kunz, 2002)