Schön ist die Liebe und
das Lieben ist gut. Aber leider steht zuvor das Verlieben und kommt die
Trennung irgendwann nach. Verliebtsein ist so komisch wie anstrengend
und Trennungen sind widerlich. Vermutlich ist das der Evolution zu
danken, der Vorsehung, den Genen oder irgendeinem tollen Einfall jenes
übernervösen Affen, der als erster aus dem Tanganjikagraben herauskam.
Klar ist das ein Trick. Ohne Nerven wie Schiffstaue ist der Mensch
nicht lebensfähig. Ergo: Ohne Nerven wie Drahtseile keine Vermehrung.
Aus diesen und anderen Gründen. Wahrscheinlich war es schon eingangs
nicht anders: Männer und Frauen passen nie richtig zusammen. Schon bei
Lucie und Lucius flogen die Fetzen. Aber was blieb und was bleibt ihnen
weiter übrig. Arbeiten und beten, öfter gut Essen oder Fußballgucken,
Politik und Stricken. So toll ist das auch nicht.
Verliebt sein hat etwas vertrackt zwei- und mehrdeutiges, ganz wie es
die Sprache haben will, wenn sie Worte mit Ver- anfangen läßt. "Ver-...
mit der Grundbedeutung vorwärts, weg, die entweder in den Begriff des
Gänzlichen, bis zur Vollendung Beharrenden, oder in den des Verkehrten,
Unrichtigen, des Zuviel oder Zulange verläuft und von da aus in
mancherlei Schillerungen der Bedeutung sich zeigt." Auf Vollendung
beharren, zuviel und zu lange und durch alle Schillerungen hindurch,
vorwärts und weg. Schillerungen ist gut. Verlangen, verlieren,
verehren, verleugnen, verharren, vergeben, vertrauen, verlassen,
verbinden, verbleiben, verblenden, verblöden, verbleuen, verblüffen,
verdanken, verderben, verzehren, verdauen... Das ist weder einfach noch
leicht und ohne partielle Unzurechnungsfähigkeit nicht zu haben.
Entsprechend erinnern frisch Verliebte öfter an Beckett-Figuren: Sie
reden extrem viel Blech und haben einen vernagelten Horizont.
Trennungen riechen schlecht, sind nicht gut für die Ohren, den Augen
ein Greuel und schlecht für die Seele. Fast möchte man daran glauben:
Wir sind nicht zum Spaß auf dieser Welt. Die Formulierung "sich
trennen" gellt an sich schon widerlich, ist Widersinn und allenfalls -
siehe oben - dialektisch zu verstehen. Sich ver-trennen wäre jedenfalls
genauer. Trennungen verwirren anhaltend oder machen ganz dumm. Unter
anderem weil es für Trennungen entschieden mehr Gründe gibt, als für
ihr Gegenteil.
Trotz und Verstummen, Resignation und Adieu, das geht ja noch. Aber,
wenn sich zwei erwachsene Menschen unversehens in heillos wütende
Halbidioten verwandeln oder in die Scheusale, die sie jüngst im jeweils
anderen ausgemacht haben wollen. Du hast... Ich habe... Wer hat...
Schon immer... (Massenhaft Schimpfworte, die wir hier nicht wiederholen
wollen.) Die Sache hat etwas von einer Rückabwicklung in Narrheit und
kann sich durchaus ins Autoaggressive auswachsen. Im Film sagt die
depperte Heldin denn auch regelmäßig: Ich habe dich nie... und wird
prompt erschossen. Selber schuld, möchte man ausrufen und: Wenn schon
Dramen, dann Othello. Aber das ist herzlos und verhilft allenfalls den
Psychologen und der Gerichtsmedizin zu wertvollen Einblicken.
Im täglichen Leben bleibt es eher bei Wutausbrüchen im Wechsel mit
Heulkrämpfen, Tabletten-, Therapeuten- und Alkoholmißbrauch,
Geschirrzerstörung und Haareausraufen. Das Bewusstsein von der
Vergänglichkeit alles Irdischen verwandelt sich jäh in ein schon immer
Gewußthaben, schön in häßlich, Mögen in Unvermögen, Anteilnahme in
Anteile, Kinder in Sachen... Hätten Horckheimer und Adorno ihren nicht
geringen Verstand an wirklich wichtige Dinge gewandt, wäre der Hinweis
auf den "Verblendungszusammenhang" jetzt wohl das Gegebene. Am Ende ist
es nicht mehr so sehr die Trennung, die weh tut.
Ich kann für dieses Jahrzehnt nicht klagen. Dunkel ist das Weltall,
Genossen, sehr dunkel, sagte unlängst Gagarin und hatte recht damit.
(Gregor Kunz, 1999)