Es war ein heller Morgen,
klar wie sie öfter sein sollten, aber nicht mehr oft sind. Ein Morgen
mit roten Augen und Dreck unterm Nagel, den Worten des Vorabends,
knöchelhoch auf dem Pflaster und wie staubtrockenes Gras, Kippen,
abgebrannte Hölzer, Zettelchen, angebissenes, vergessenes Brot.
Schlaflosigkeit, sagte Jesse, ist ein produktives Laster. Er sagt, dass
Schlaflosigkeit ein Laster ist, sagte Franz. Er sagte, dass
Schlaflosigkeit produktiv ist, sagte ich. Das ist nicht dasselbe. Ganz
schön, sich das auszumalen, nicht wahr?
Über den Suff wegzukommen, reicht manchmal ein Bier. Schafft man das
noch oder nur wenn es sein muss? Du wirst das herausbekommen müssen.
Thomas grinste, während er dem Keeper beim Zapfen zusah. Da hast du ja
noch allerhand vor dir. Das Bier war köstlich, kühl wie die Luft über
den trockenen Gräsern in Ufernähe, wenn gerade die Sonne aufgeht.
Hemingway mochte diese Zeit. Hemingway mochte Bier. Hemingway mochte
alle anderen Getränke. Aber das war in einem anderen Land. Und außerdem
ist er tot. Dann auf Hemingway. Thomas hob sein Glas: Über den Durst
und die Felder.
Mach keine Panik, sagte Jesse. Das war ein alter Witz zwischen uns. Red
kein Blech, heißt das, die Dödel sitzen auf ihren Fingern und pissen
aus allen Löchern. Was du dem Herrgott schuldest, ist dein Problem.
Laßt uns nutznießen. Nimm Mitgefühl und Ironie. Geh nicht aus dem Haus
ohne Gin und Bananen. Wenn du eine Stütze brauchst, bestell noch ein
Bier. Das war die Fortsetzung. Es gibt keinen Grund, die Sache nicht
auch so auszudrücken. Franz hielt den Daumen hoch: Eine Nummer, dieser
Hemingway. Mirko stellte jedem ein Glas hin. Keinen Stress, Jungs.
Als Liebhaber war Hemingway vielleicht etwas unstet. Zu wählerisch. Das
hieß doch eine Mickey-Mouse auf einen Nußknacker setzen und einen Geier
an jedermanns Leber. Egoistisch vielleicht? Als Boxer war auch nicht
viel mit ihm los. Tanzen konnte er ganz und gar nicht. Schach? Ganz
schlecht. Was hätte der wahre Hemingway uns zu sagen gehabt? Ein Stein
ist ein Fels, ist Granit, ist ein Kiesel. Keine Ahnung, wie ich drauf
kam.
Ne' Nummer, dieser Hemingway, sagte Franz, unbeschadet von allem: eine
Nummer. Was wäre aus ihm geworden, hätte er Maurer gelernt, alter Mann
oder Stier? Nimm Rücksicht auf alles, was du nicht verstehst. Es könnte
ein Kunstwerk sein... Der Whiskey schmeckte nach Rauhreif und Moos,
feuchtem Holz, glatten Steinen, Seeluft und Feuer, Vogelgeschrei und
Nägeln, nach Tod am Nachmittag und der Sonne zwischen den
Kiefernstämmen oberhalb der Küste. Zwischen den Stämmen lief ein Igel
herum, hustend oder vielmehr singend: Deliziös diese Schnecken und
lecker der Regenwurm. Schmatz-schmatz.
Jedesmal, wenn ich ein Komma setze, denke ich an Hemingway. Der hat das
nämlich auch nicht gern gemacht. Die Reichen, sagte Jesse, die Reichen
sind anders. Sie haben mehr Geld. Wozu brauchst du Kommas? Die nehm'
ich, sagte Thomas, wenn der Kümmel alle ist. Kümmel nur auf Wunsch,
sagte Franz. Kümmel für alle, sagte ich. Selbstmord ist kein Ausweg.
Kämpf mit uns in der R.G.O. Promiskuität ist kein Ausweg, sagte Jesse.
Kämpf mit uns in der Anti-Saloon-Liga.
Weißt du, was dir fehlt? Du bist ein Heimatloser. Eine der schlimmsten
Typen. Niemand, der sein Heimatland verlassen hat, hat je etwas
Vernünftiges geschrieben. Nicht mal druckenswert für die Zeitung. Du
hast den Kontakt mit der Erde verloren. Du posierst. Trügerische Normen
haben dich ruiniert. Du trinkst dich zu Tode. Du bist vom
Geschlechtlichen besessen. Du redest die ganze Zeit, statt zu arbeiten.
Du bummelst in Cafés herum. Du arbeitest niemals. Manche behaupten,
dass du dich von Frauen aushalten lässt. Klingt eigentlich ganz
verlockend, sagte ich. (Gregor Kunz, 1999)