Falls das der Morgen ist,
sind das Dachdecker. Dachdecker bei ihrer Arbeit, beim Nageln der
Schieferplatten, Dachdecker mit seltsam schön geformten Hämmern, schräg
gehockt oder aufgestellt neben gestapelten Dachsteinen, vor sich
grüngefärbte Latten... Dachdecker blicken nachdenklich, sehen sie einem
Dachstein hinterher oder einem Kollegen oder, in unbeobachteten
Augenblicken, den Schwalben. Das hilft, wenn die Jahreszeit stimmt,
d.h. Schwalben vorrätig hat. Fehlen die Schwalben im Bild, ist es kalt
und der Dachdecker trägt Fäustlinge, haut sich immer öfter auf die
unsichtbaren Finger und flucht unbeherrscht. Habe ich fluchen gesagt?
Ein bißchen lauter, wenn's geht! "Scheiße, verdammte, fick dich ins
Knie..."
Eine Straßenbahn fährt ins Bild, begleitet von diversen Automobilen,
und schluckt - zu unserem Bedauern - den Rest. Der Vogel hinter der
Frontscheibe, grau nach Art der Marabu, aber deutlich größer, dreht an
der Kurbel - wahrhaftig - und zwingt das Gefährt aus Blech, Glas,
Messing, Holz, Leder und Elektrizität zum Halten. Nicht unseretwegen.
Die Ampel oder der Schutzmann oder die realexistierenden Verhältnisse
hinter dem linken Bildrand sind es. Der Vogel hinter der Frontscheibe
heißt Blake oder Edinson und trägt eine Odolflasche aus Silber am
Revers. Er grüßt uns durch das Anlegen zweier Finger an den gestreiften
Mützenrand und nickt würdig. Was er sagt, verstehen wir nicht. Die Bahn
fährt an und verschwindet. Das letzte, was wir sehen, ist die
rückwärtige Kupplung, auf der ein Kater sitzt, der sich den Bart mit
einem Acht-Mark-fünfzig-Stück streicht. Der Kater ist schwarz und was
er sagen wird, wissen wir: "Plagiat nach Bulgakow". Von den Dachdeckern
sind eben noch die Hosenbeine zu sehen, die Socken und die
kalkbespritzten, rindsledernen Arbeitsschuhe mit den dicken
Profilsohlen unten dran. Wahrscheinlich fahren sie zum Himmel auf oder
das Haus wächst in rasantem Tempo.
Dort wo die Straßenbahn stand, sind Fenster zu sehen, zwei längliche im
Hellen und ein breites, rechts daneben. In den schmalen Fenstern gibt
es Gardinen, blühende Alpenveilchen und eine Hand, die in
Zeichensprache den Namen "Adam Smith" buchstabiert. Die Alpenveilchen
seufzen, sollte man meinen, aber das ist das Wasser aus der
unsichtbaren Hand.
Schwindel denken wir, wie immer, wenn wir recht haben. Niemand anderes
als ein Frauenzimmer goß grad die Blumen, ein zarte Frau von 159
Zentimetern, der zehn Minuten bleiben für das Anlegen der Tagesrüstung,
so sie nicht später Dienst hat. Gott mit ihr und allen anderen.
Eigentlich hat jeder Mensch etwas besseres verdient, als das Büro und
die Speicheltropfendusche und die Sechs-Uhr-Kälte an den Beinen.
Wir sehen es nicht, aber wie wir wissen versinkt schräg gegenüber das
Handwerk im tertiären Sektor, sind die Brötchen noch warm oder schon
wieder, fehlt es an Butter und Perspektiven, prahlt ununtersetzt ein
Gelb mit seinen Pigmenten... Eben mit dem, in das eine große Frau
zerfällt, just in der Straßenflucht, in Brust und Fahne gewandet, den
Farben blau-weiß-rot. Als letztes fallen die Pistolen des Knaben
Gavroche, neben ihr, groß wie Straßenbahnwagen, aber kaum mehr zu
hören.
Revolutionsdropse liegen im dritten Fenster gestapelt, geringelte
Fluppen und Bretonanstecker, druckfrische Presseerzeugnisse,
angebratene Hühner mit weichen Knochen, panzerbrechende Dauerwürste in
vollem Galopp, Seufzer und Zorn und Ekel. Es sind angelaufene
Aluminiumlöffel, die das Glas umfassen, und flüsternd skandieren,
indiskret laut: Kiosk Leo Trotzkij. Während die Dachdecker im Tiefflug
den Bischofsweg kreuzen und eine Schwalbe an der Traufe zerschellt,
auseinanderstiebt in schwarze Meteore, Kohlenstücke, Schrauben: den
Himmel schwarz entzündet.
"Oft genug ist das Übernehmen einer Aufgabe die sanftere Art der
Sabotage", sagt der wirr- und grauhaarige Herr, grau hinter der
Glasscheibe: "Therapier dich in Knie." (Gregor Kunz, 1998)