Hubertus Giebes
"Geschichtsbilder" versammeln sich im Palais des Großen Gartens zum
Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945. Zugleich sind
sie eine kleine Retrospektive, ein Rundgang durch drei Jahrzehnte
Arbeit, der vor einem noch älteren Selbstporträt des 1953 geborenen
Künstlers beginnt oder auch enden kann. Giebe steht vor offenem
Fenster, vor ihm Klatschmohn, hinter ihm Landschaft, ein Stück
Landstraße und das Jahr 1974. Fremd wie das Bild sich im
Gesamtgeschehen macht, wird es doch wiederkehren, sein Rot und sein
Bau, das Denken hinter den zusammengezogenen Brauen, ein Blick,
getragen vom Bewusstseinsstrom.
Fotofahnen stellen die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts ins
Zentrum, Gemälde und Bronzen flankieren, Grafik besetzt einen
Nebenraum. Fahnen - der Ausdruck trifft es freilich nicht ganz. Es sind
gerahmte Bahnen, Ausschnitte historischer Aufnahmen in extremem
Hochformat, aufwändig in den 1980ern auf Fotoleinen gebracht und
farblich mit Rot und Gelb bearbeitet, gelegentlich fast bis zur
Tilgung. Diktatoren - Hitler in Parteiuniform, der junge Stalin in
Stiefeln und Litewka - ihre Helfer, Parteigänger und ihre Opfer sind zu
sehen, Gefangene, Flüchtlinge, Emigranten, Soldaten, Mörder, einzeln
und in Gruppen. Namen rufen diese schon entrückte, in ihren Folgen nie
endende Welt zurück: Peter Weiss beispielsweise, Walter Benjamin, Willi
Münzenberg, Bonaventura Durruti, Federico Garcia Lorca, Carl Einstein.
Fünf weitere, diesmal frei gehängte Bahnen tragen Schrift. Christoph
Ziemer bespricht Dresdens Schicksal, Ernst Jünger spricht von der
Schamlosigkeit, die ein jäher Machtwechsel zeitig, Milan Kundera sagt:
"Kitsch ist eine spanische Wand, hinter der sich der Tod verbirgt".
Kitsch meint bei Kundera eine verbreitete Form zeitgenössischer
Dummheit, die nicht wissen will.
Die Gemälde sind Gleichgewichts- wie Denksysteme eigener Aura, Lösungen
des Malers und eine Zusammenführung widerstrebender Teile. Rot verzahnt
sich in Grün, den Sog der Tiefe eröffnen weiche Draperien und
Strichwerk über und unter scharfen Diagonalen, den versetzt schrägen
Wänden. Das figürliche Personal agiert aktiv und merkwürdig passiv
zugleich. Es gibt ein neues Ballett der Fama, Krieger im
Biedermannsrock, wütend apathische Zwerge in Ballungen aus Leibern und
Zeit, Köpfe, die Masken sind, innerhalb und außerhalb des Menschlichen,
kenntlich wie unkenntlich. Dann die wiederkehrenden Elemente eines
währenden Denkens in gegensätzlichen Einheiten wie Rad und Mondsichel,
Andreaskreuz und Totenschädel. Malerei, sagt der Maler, ist Logik der
optischen Sensation, ihre Wahrheit erfahre er, wenn er male. Es gäbe
immer nur Annäherungen, die aber treiben weiter. Die Bilder entwickeln
sich über ihre Elemente: Man muss sich überraschen lassen...
Kennerschaft in Materie und Kunstgeschichte sind da gleich wichtig, das
Bild entfalte sich aus der Materie, aus Wissen, Können und
Selbstglaube. Literatur und Philosophie traten bei Giebe von Anfang an
hinzu. Zu seinen Hausgöttern zählen Nietzsche, Walter Benjamin, Carl
Einstein, Heiner Müller, eine seiner wichtigsten Figuren, der Zwerg,
führt den Namen Oskar Matzerath nach Günter Grass.
Die größte der Bronzen, die "Große Figurine", erinnert an eine
archaischen Gottheit. Zwei erhobene Arme enden rechts und links im
Nichts, zwei Gesichter bilden den Scheibenkopf, vier Hände liegen um
die Taille, vier Füße entwachsen zwei Beinen, vorwärts und zurück.
Angelus novus, der Engel der Geschichte, eine Formulierung Benjamins
nach einem Blatt von Paul Klee, auch Heiner Müllers glückloser Engel
lässt sich hier sehen, im Blick die Trümmer einer Katastrophe. Die zwei
Gesichter widersprechen dem nicht, der Standort im Licht und vor der
Bildhalle der Geschichte stimmt zu. Giebe verweist auf die
konstruierenden Elemente, das Andreaskreuz der Märtyrer, den Kranz der
Hände, den Blick in zwei Richtungen, auch aufs Spiel der kubistischen
Elemente: Das geistert alles hinein, sagt Giebe. Etwas für sich hängt
eine 1981 übermalte Sommerlandschaft: "Das Ende eines schönen Traums".
Brüche, Kreuz und Diagonale konstituieren auch hier, Grün siedelt im
verstellten Ausblick, residiert in grübelndem Schwarz. Das Blatt atmet
eine grobe Zärtlichkeit, der Traum, sagt der Künstler, war der Traum
von Harmonie.
(Gregor Kunz, 2009)
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