"Nur noch den Falter/
Totmachen über der Tür. Es ist kein Falter. Nur/ Ein Spalt. Nenn es,
wie du willst. Aber mach es/ Mit Liebe. Benenn es nach einer Musik, in
der/ Schon die engen, abgezählten Nerven eines/ Einzigen Instrumentes
reichen, die lähmende/ Geometrie einer Berührung zu beschreiben./ Nenn
dieses Stück nach den letzten beiden/ Briefuntergängen der wirklichen
See. Nenn es/ Yonefa und Wellesch. Nur noch den Spalt/ Totmachen über
der Tür. Es ist keine Tür. Nur/ Eine Fortbewegungsart der Hauswand.
Die..."
Das ist saugut. Thomas Kunst sagt öfter: saugut. Wirklich, sagt er, das
kannst'e ruhig aufschreiben, da kommt keiner ran. Saugut. Musik ist das
absolut Größte, das Wichtigste... Superlative sind Selbstschutz, sagt
Thomas Kunst. Wer möchte schon, daß ihm jemand zu nahe kommt,
ungebeten, unberufen. "Ich bin unglücklich. Ich bin sauunglücklich. Ich
bin einer der besten Lyriker in Deutschland und ich werde nicht
wahrgenommen."
Kunst wohnt seit 1987 in Leipzig, da wo Leipzig aufhört und Grünau
wird. Er wohnt in einem Reihenhäuschen, rechts unten, also nicht in
Grünau, sondern in der Bayreuther Straße. In der Bayreuther Straße ist
alles klein. Sie sollte Spitzwegkolonie heißen oder Straße der
mordenden Katzen im Vogelschutzgebiet - . Aber sehr gut: Die Wohnung
hat ihm ein Leipziger Dichter günstig vermietet.
Seine Kindheit nennt Kunst überbehütet und ganz normal. Sie begann 1965
in Stralsund und treibt sein Wesen oder das ihre, vergesellschaftet mit
Musik und Dichtung, unbekannt wie weit. Ein Musiker ist aus ihm nicht
geworden - "Ich war zu schlecht" - und einen Dichter will er sich nicht
nennen lassen. Lyriker, sagt er, das ist für mich die Höchstform. Er
hat mit 20 geheiratet ("Nie mehr...), ist Vater einer Tochter geworden
und später Erzeuger eines Sohnes. Das Pädagogikstudium währte drei
Monate, dann ging er in den Lesesaal der Deutschen Bücherei. "Ich hab'
Gebiete zu betreuen, den Handapparat, ich kann viel lesen..."
Sein erstes Gedicht war ein Liebesgedicht, so großartig wie alle
Liebesgedichte, die einer mit 17 haben kann. "Es gibt diese Mischung am
Anfang, aus Größenwahn und Nichtkönnen." Gelegentlich trägt die.
Begegnungen gibt es, mit Büchern und Menschen, Anstöße, Bestätigung und
manchmal kommt das alles zur rechten Zeit. Kunst war mit Uwe Lummitsch
befreundet und der hörte ihm zu. In seinen einzigen Gedichtband schrieb
Lummitsch: "Für Thomas, den Dichter der Zukunft". Für Kunst war das der
Anfang. Lummitsch, Jahrgang 1956, starb 1988.
Literatur braucht das täglich geschärfte Wahrnehmen, Bildung und
Belesenheit. "Die Verwunderung ist die erste Leidenschaft." Sagt
Descartes, sagt Kunst. Seine Tradition ist deutsch, seine Neigung gilt
den Franzosen. An Autoren, die er liebt, nennt er Robert Kelly,
Christoph Meckel, Joseph Brodsky, Hervé Guibert, Maurice Blachet...
Nach Trakl gefragt, ist es tatsächlich Trakl. "Als ich angefangen habe,
waren das meine Lehrmeister, Trakl und Celan. Ich habe fast nichts
anderes gelesen... Ich habe einen Instrumentenwechsel vorgenommen. Bis
ich 17 war, habe ich Geige gelernt, wollte ich Musik studieren. Ich bin
extrem musikalisch... Trakl ist für mich der musikalische Dichter
überhaupt. Trakl führte zu Benn und zu Celan. Celan, den verehre ich.
Es war sehr schwer, mich von ihm zu emanzipieren. Ich hatte den
Schreibtisch voller Celan-Imitate..."
Kunst arbeitet lange an seinen Texten, überarbeitet sie aber nicht. Er
tippt ins weiße Blatt und nennt das: ins Ahnungslose. Das klingt
einfacher als es ist. Im Gedicht begegnen sich Worte und
Wirklichkeiten, das Denken der Sprache und das Denken des Dichters. Das
setzt - unter anderem - genaueste Kenntnis der Worte voraus, ihrer
Strahlung, ihrer Reaktion, ihrer Farbe, ihres Herkommens und weiteren
Verbleibs. Nichts gegen Wörterbücher, aber wer mit dem Wort ringt, hat
schon verloren. Zeilen verhalten sich und Bilder haben ihr eigenes
Leben. Dichtung ist immer ein Wagnis und experimentelle Poesie ein
idiotischer Begriff. Kunst glaubt an das spontane Element, weil er an
praktizierte Inspiration glaubt. Worte sind für ihn Einzelnamen und
Imagination ist Arbeit im Grenzgebiet. "Ein Text muß an seinen
fragwürdigsten Stellen Glück haben." Glück in der Arbeit, man weiß es,
haben tüchtige Leute und auch die nicht immer.
Im Leben - der anderen Sprache - gilt eine andere Grammatik. Ein
Austausch findet statt, ungefähr nach Art der kommunizierenden Röhren.
Kunst drängt das Erzählen. Also keine Gedichte mehr? Was sich verwandt
ist, kann sich nicht ewig fliehen. Sagt Hyperion, sagt Hölderlin, sagt
Kunst.
"Und ich hörte wie die Menschen zu/ Ihren Geräten sagten das Meer das/
Meer soll nicht länger unser/ Bestimmer sein aber wir haben uns/
Vergeblich darum bemüht es/ Endlich für immer hinter uns zu / Lassen
erst als wir damit beginnen/ Wollten alle Bücher Filme und/ Musiken
abzuschaffen in denen das/ Meer eine Rolle spielt begriffen wir/
Daß..." (Gregor Kunz, 1999)
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