Was will der Stein: Matthias Jackisch



Was kann man einem Engel zu Liebe tun? Zuhören, vermutlich, und ihn machen lassen. Engel haben alle Zeit der Welt und damit ihr Problem, Mensch und Tier leben jeweils in anderer. Und die Steine natürlich, das Holz und das Papier. Matthias Jackisch hat einen Engel gemacht, in Papier und aus etlichen Blaus, mit Schwarz und Braun und etwas Rot. Die Hand sagt "Ich", der Kopf ist reduzierte Skepsis, der Mund fest geschlossen. Er spricht in Zeichen: Frau oder Idol. Die Farben sind eingefleckt, eingesickert, verlaufen, bis die Wasserbeize ihren Platz, die Gestalt zur Gestalt gefunden hatte. Bleistiftstriche gaben am Ende der Deutung Kontur und den Titel hinzu: "dem Engel in Liebe". Titel sind nicht häufig bei Jackisch. Sie kommen, sagt er, wenn ich mit dem Gedanken am Ende bin. Inzwischen liegt das Blatt und akkumuliert. Fertige Blätter - "es gibt Berge" - kommen in die Schublade und manchmal an die Wand.
Matthias Jackisch ist Jahrgang 58, stammt aus der Oberlausitz und lebt in Golberode, einem Dorfe nah an Dresden. Er hat Steinmetz gelernt und Steinbildhauer, dann an der Dresdner Kunsthochschule studiert und abgeschlossen. Ich bin froh, daß ich mein Handwerk habe, sagt er. Im Internet wird der Bildhauer vor allem als Performer präsentiert. Jackisch korrigiert: "Ich bin Skulpteur, ein Bildhauer, der auch Performance macht, aus Erkenntnisgründen". Statisches Arbeiten steht derzeit im Vordergrund, die Erfahrung der Performance steckt freilich drin: Was die Figur im Raum macht und mit dem Raum. Daß jedes Ding einmalig ist und sein Leben hat, seine Zeit braucht und seinen Ort. "Dann guckst du, will der Stein das und was will er..."
Jackisch hat viel gemacht seit den 80er Jahren, die Arbeitslisten im Katalog füllen Seiten. Besonders fleißig wäre er aber nicht, sagt er. "Ich arbeite immer, weil es nicht anders geht. Ich halte es nur mit der Arbeit aus, wenn ich mein Zeug machen kann. Mit Produktion hat das nichts zu tun. Ich kann das nicht planen. Ich betrachte das als Lebensweise." So wurde die Performance auch deshalb zur Notwendigkeit, weil in den frühen 90ern der Markt die Wiederholung des Immergleichen verlangte. Und auch, weil ihm Zusammenarbeit immer wichtig war. Produktion um der Produktion willen ist unproduktiv. Auch gibt es Momente, die man allein nicht haben kann und sich selbst in die Augen zu sehen, ist der Mensch nicht geschaffen. Er braucht ein Gegenüber.
Auch die montierte Skulptur "Adler über Stadt" ist Gespräch, spiegelt dieses Prinzip. Der Adlerkopf steckte in weißem Ganggestein, einem Fundstück. Jackisch hat ihn sorgfältig an Schnabel und Schädeldach bearbeitet und ansonsten in seiner splittrigen Augenhaftigkeit belassen. Er steht über einer sanften Wölbung, vierfach geschnitten aus altersdunklem Holz und zusammengestellt in der Art eines fassenden Sockels. Die Zusammenstellung leuchtet sofort ein: Das Holz ist Haus, das Haus ist Stadt, bewohnt von Zeit. Auch der Vogel ist Zeichen und doch ganz Flug und wahrhaftig ein Adler. Wie das gemacht ist, ist gut zu sehen und doch haben Holz und Stein das ihre bewahrt, ihr geheimes Leben.
Die Dinge haben ihre Eigenbewegung, sagt Jackisch. Mit der ist zu arbeiten: "Ich suche eigentlich nicht. Wenn ich losgehe und suche einen Stein, das wird nichts. An Steine, die lange in der Natur waren, ist ja schon viel gemacht. Manche sind fertig, aber fast immer wartet da noch etwas." Im "Windberg-Pakal" war es ein Kopf. Der rauhe Stein hat lange gelegen, eh der Künstler das Profil zu sehen und zu fassen bekam. Jetzt zeigt die eine Seite in sauber polierter Arbeit das Gesicht eines lebenden Maya-Gottes, die andere weiter den Stein und das Gesicht vom Windberg noch einmal, in enormen Kontrast: jetzt sichtbar im Rohzustand. An "Animal" ist allein das eingetiefte Auge des Pferdes poliert. Der Kopf selbst ist gespaltener Basalt, mehr oder minder belassen und dem wechselnden Licht zur weiteren Modellierung anheim gegeben. Ähnlich ist's wieder mit dem Papier. Die Farben fließen und "Fließen, das steckt ja in allem", sagt Jackisch. Oder verborgene Absicht. "Zufall gibt's nicht. Ich denke, das ist alles Gesetz...." (Gregor Kunz, 2004)




Nichts geht schnell: Matthias Jackisch



Netzartig über Räume und Gänge verteilt, legen Jackischs Grafiken und Skulpturen Aufenthalte nahe, aber nicht fest. Das Finden war und ist ein aktiver Prozess, der weiter in Gang bleibt. Ein Fund ist kein Fund, wenn er nicht gemacht wird, das gilt auch für den Betrachter. Jedes Ding ist einmalig und hat sein Leben, braucht seine Zeit und seinen Ort, sagt Matthias Jackisch: "Dann guckst du, will der Stein das und was will er..." Nichts geht schnell.
Die Blätter an den Wänden, meist kleine Formate, grob gerissenen oder sonstwie angeeignete Form, sind Mischtechniken aus Zeichnung, Eigenbewegung der Farbe, Grattage, gesetzten Akzenten. Magischer Mensch, Kopftransparenzen, Engel und Tier sind allesamt Stücken einer Fläche unbekannter Größe, herausgetrennt und immer Teil geblieben eines größeren, vermutlich sehr alten Zusammenhangs. Schon hier drängt sich die Annahme auf, dass Jackisch da wieder hin will, aufs Ganze geht, nicht trennt - obwohl er praktisch genau das ständig tut - sondern zusammenführt. So erinnern die Blätter denn nicht nur an transportabel gemachte Höhlenwandstücken, sondern gleichermaßen an Aufzeichnungen einer endlosen Forschungsreise, die der inneren Weltstruktur nachspürt. Die Titel der Blätter sind entsprechend Notate zwischen Erkenntnis und Vermutung: "blödes dummes böses blut" etwa oder "Engel gibt auf". Was ein Engel nicht aufgeben kann, ist sein Amt.
Konzentriert in Kraftfeldern schaffen die Skulpturen Jackischs ihre eigenen Räume und, was schwerer wiegt, ihre eigene Zeit. Auch hier ist Struktur der Ansatz: der Bruch im Basalt, die endlich geschliffene Form, die wachsen will, den Anschluss sucht, die Fortsetzung. Jackisch hat auf Namen verzichtet und die Steine, Abgüsse und Bronzen damit ganz den Eigenbewegungen im Beziehungsgeflecht überlassen. Dieses Selbstbewusstsein ist gerechtfertigt: Wenn der Betrachter den Arbeiten ihre Zeit lässt, klären sie ihn über die Verhältnisse auf. Vorher aber erfährt er sie.
Für sich und nach hinten gestellt, sind die größeren Basaltskulpturen - 50-60 cm Maximum - Ziel- und Strahlpunkt. Zwei unbearbeitete Brocken legen den Grund, die Pechfrucht daneben verdankt sich vermutlich der Zeit. Die anderen sind freigelegtes Innen, zwischen Außen und Außen gespannt. Außen ist belassene Rauheit, Innen ein bis zur Politur gesteigerter Schliff. Durch Wegnahme entstanden und auf Glas gesockelt, haben die eigenartig weich anmutenden und teils durchlässigen Wuchsformen meist kein definiertes Oben und Unten. Einzig eine kostbare Steinflöte steht auf Holz wie ein Idol und ist wohl auch eins, eine materialisierte Schöpfungslegende. Die Abgüsse und Bronzen sind auch deren Fortführung. Unterschiedlich gefärbt, aber in Augenhöhe, tanzen die Abgüsse zweier Basalte drei ihrer Möglichkeiten ab. Auch in den gestuft gestellten hohlen Bronzen steckt eine Steinform, montiert wie ein Korallen-, formiert wie ein vernetzter Gedankengang. Das Spiel wird heiter. Dem Elend der Identitäten weitgehend entzogen, werden die Skulpturen jetzt potentiell tönendes Gerät, vielleicht zur Entmessung der Welt. (Gregor Kunz, 2007)

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