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Auf der Ulanendrehe: Frank Herrmann



Schräge Wände in weiß, Holzbalken, ordentlich aufgestellte Keilrahmen und Arbeitsplatten, drei Grafikschränke, eine Musikanlage, ein Stuhl, ein Tischchen, eine Liege und die aktuellen Arbeiten sauber ausgelegt auf dem Fußboden: eine Serie auf Polaroidbasis. Frank Herrmann arbeitet, wenn er nicht unterwegs ist, in einem der Johann-Meyer-Häuser in der Leipziger Vorstadt, an einer lauten Straße, die nach einem verschimmelten Förster heißt, einem Raubfisch, einem eleganten Straßenbahnwagen. Zum zweiten Male übrigens und nach zehn Jahren wieder in einer Art absichtslosem Ortsgespräch. Früher hieß die Gegend "Ulanendrehe" und so mag man sich den objektiven Zufall denn auch vorstellen, als ein Wesen zu Pferde, das die Dunkelheit als Mantel trägt.
Frank Herrmann ist Jahrgang 55, stammt aus Karl-Marx-Stadt/ Chemnitz und kam wie so viele über das Studium nach Dresden. Künstlerische Ambitionen, sagt er, waren zwar vorhanden, aber noch fehlten ihm der rechte Mut und das Zutrauen. Bis zum Abschluss als Wasserbau-Dipl.-Ing. (sprich: Dippl-Ingk) im Jahre 80 ging er in den Mal- und Zeichenzirkel der TU, danach für dreieinhalb Jahre in eine kleine privaten Buchbinderei. Als Hilfsarbeiter, "aber verkürzt eben, drei Tage sechs Stunden für zwei Mark vierzehn Stundenlohn. Das hat gereicht und interessant war es auch. Ich habe mir dabei das Buchbinden selbst beigebracht." Der Buchbinderei folgten Gelegenheitsarbeiten und der Beruf des freien Künstlers. Gefördert u.a. von Wolfgang Petrowsky, wurde Herrmann 87 Mitglied des Verbandes und damit "legitimiert". Den letzten Anstoß, als Autodidakt zu arbeiten - oder die Bestätigung - habe allerdings eine Ausstellung gegeben, lange vor dem. Es waren die Arbeiten des autodidaktischen Künstlers Klaus Hähner-Springmühl, die Herrmann zum Schlüsselerlebnis wurden.
Noch während der Zeit im Zirkel fand Herrmann zur Lithographie und begann selbst vom Stein zu drucken. Daraus entstand mit den Jahren ein zweites Arbeitsfeld zwischen Verortung, Kommunikation und Broterwerb: Er übernahm in den 80ern die Lithowerkstatt des Stadtkabinetts für Kulturarbeit. "Nach der Wende ist die Werkstatt ins Stadt Riesa umgezogen und seitdem mach' ich den Werkstattleiter im Riesa e.V. und drucke für Leute. Außerdem gibt es noch einen Honorarvertrag mit der TU, ich arbeite an zwei Tagen mit angehenden Kunstpädagogen. Donnerstagabend ist die Werkstatt offen, da kann dann jeder kommen."
Herrmann beschreibt sich als einen "mehr grafischen Typen", für den die Farbe eher etwas Nachgeordnetes ist. Angefangen hat er mit Zeichnungen - "ziemlich spontane Sachen" - und der Schwarz-Weiß-Fotografie, deren Handwerk er dem Vater verdankt. Mit den 80er Jahren kamen Foto-Inszenierungen hinzu und Übermalungen. "Gereizt hat mich, in Fotografien einzugreifen, Fotos zu übermalen, Fotografie und Grafik zu verschmelzen. Das zieht sich seither durch, mit den Polen Fotografie - grafisches Arbeiten, Collage. Farbe - wenn man das als Farbe bezeichnen will - kam erst nach und nach hinzu. Mit dem Raum und mit Fundmaterialen habe ich schon länger versucht zu arbeiten. Jetzt sind die Installationen ein wichtiger Teil meiner Arbeit." Und das Wasser.
Fragen nach seinen Arbeiten beantwortet Herrmann ausweichend und gern mit einem Witz. "Das sind so die dummen Titel, die mir einfallen..." Er könnte natürlich auch Assoziation dazu sagen. Wahrscheinlich mag er den Jargon der Kunstwissenschaft nicht oder fürchtet um die Freiheit des Betrachters. Lieber beschreibt er sein unthematisches Herangehen vom Material her, um das herum er arbeitet und mit dem er Bilder entstehen läßt. "Das sind meine Äußerungen", sagt er, "hinter denen ich mich auch verstecke". Eine dieser Äußerungen war 98 im Dresdner Leonhardi-Museum zu begehen und hieß "Park": Das war ein dunkler Raum, kniehoch mit geschredderten Autoreifen gefüllt, der den New Yorker Central-Park zitierte, per Bildwerfer und Tonbandgezwitscher und Glaskästen, in denen das Wasser die abgelichteten Stiftertafeln langsam übermalte. Ein stimmiger Nachvollzug der Kunst-Natur auf eigenartig schwankendem Grund und ohne Boden. Toll!
Collagen oder Mischtechniken beginnt Herrmann mit dem Aufkleben eines Elements, eines Fotos: Alles andere entsteht dann dazu, bis die Arbeit einem inneren Bild entspricht oder wenigstens nahe kommt. Das ist - anders als am Anfang - ein eher langsamer Prozess. Ich arbeite, sagt er, viel mit dem Zufall. Es entstehen zum Beispiel zufällige Strukturen durch das Auftragen der Farbe, die dann weiter bearbeitet werden. Ohne einen gewissen Ordnungssinn und ohne Beharrlichkeit ist das nicht zu machen. Den Dingen, den Materialien ihr Recht lassen braucht Zeit.
Wer Erfolg hat, braucht sich keine Gedanken zu machen, sagt Herrmann und lacht: "Ich denke schon, dass man Erfolg braucht. Man macht die Sachen natürlich für sich, will dann aber auch an die Öffentlichkeit. Ein besonders erfolgreicher Künstler bin ich nicht. Ich muss immer etwas neues anfangen und das begünstigt den Erfolg nicht. Die Leute wollen ein Markenzeichen. Aber mich würde das langweilen. Ich versuche mich im Wechsel zwischen den Arbeiten zu bewegen, die sich dann gegenseitig wieder befruchten können. Ich muss immer etwas machen, das geht nicht anders." (Gregor Kunz, 1999)




Kopfkino und Identitäten: Frank Herrmann



Frank Herrmann (Jg.55) im KunstRaum Saite bewirbt sich in einem farbigen Fensterblick oder mit dem Doppelsinn des eigenen Gesichts hinter den Spiegeln. Benannt hat der Künstler seine aktuellen Variationen Herrmannscher Konstanten mit "Persiflage". Das trifft sich: Persiflage ist Spott und Spott ist der halbfesten und nichtsdestotrotz wuchtigen Realitäten notwendiger Teil. Wären sie sonst zu ertragen?
Den ersten Auftritt bestreitet ein Video, ein Kopfkino auf weißer Säule. Farben und Struktur gehen langsam über in Farben und Strukturen, ähnlich den Wolken einer Satellitenaufnahme oder in der Art des Tintenflecks, eines gefrierenden Fensters. In die Fleckenfläche hat Herrmann sein Gesicht gestellt, in die Gezeiten von Kenntlich und Unkenntlich. Die Frage ist zugleich die Antwort selbst: Sieh Du nur zu!
Dahinter wächst Gras, in ausgelegten grünen Plastikborstenflächen, die das Gehen schwankend machen. Zwei fest verbundene Scheiben, das hochkant gestellte Transparente, drei ausgelaugte Papiere, Kleber, Glasflicken, Wasser, Grassamen, wachsendes Gras, totes Laub und Luft ergeben das "Große Glas". Tritt Licht hinzu, bewegt es sich sacht in der Zeit, wird Eigenwelt und Weltenwand. Die Berührung mit Marcel Duchamp realisiert sich im dauernd Unfertigen und über den Humor, der hier etwas zart Resignatives hat, hart an der Grenze zur Rührung. Hermann macht dem Publikum gern eine Freude. Zwei beigesellte "Grüne Zwerge" - Gartenzwergtrümmer, graswuchsumflort - quittieren unter und über Glas mit dem Charme des Morbiden, als hergezirptes Stirb und Werde.
Schwarz geht es weiter, auf hoch gepolstertem Boden ins Spiegelkabinet: Das Schwanken, die Zeit und der Blick bleiben Thema. Linkerhand aktiviert der Bewegungsmelder zwei Tafeln im Schwenkkasten, unscharfe Porträts, wie sie im Lebenslauf zu gewinnen bleiben. Geradezu bilden fünf Spiegel eine Gasse, an deren Ende Spiegel und Bild im Drehen wechseln. Ins Zentrum der fixierten Spiegel, ins Freigeschabte hat Herrmann wieder sein Gesicht gestellt. Stellt sich der Betrachter dazu, hat er eine nicht reproduzierbare Fotografie, eine zeitlich belebte Collage, den Blick ins irritierend Fragwürdige der Identitäten. Was sehen Menschen, wenn sie Menschen ansehen? Der Blick verändert das Bild und das Bild den Blick, je nach dem was hinzutritt und heraufbeschworen wird: Begehren, Furcht, vage Interessen, Abwehr, Gleichgültigkeit... Die Stelentafel am Ende zeigt den Körper des Künstlers in Lebensgröße, fünffach segmentiert und dem Wasser zur Zerstörung anheimgegeben. Der Körper liegt, das Bild steht aufrecht und dreht sich ununterbrochen. Im wiederkehrenden Spiegelblech scheint unscharf der Betrachter auf.
Einige Fotoarbeiten sind Zugabe. Herrmann hat eigenes und fremdes Fotomaterial bearbeitet und in Vierergruppen bzw. zu 32-teiligen Mosaiken zusammengestellt. Farben, Struktur und die Wölbungen des Materials ergeben jeweils ein Gesamtbild, einen Assoziationsgrund, auf dem Blick und Verfassung des Betrachters sich finden mögen. (Gregor Kunz, 2003)

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