Steffen Fischer denkt in seinen Bildern, die
Menschenbilder sind von Anfang an. Ihr Anstoß kommt von außen, aus der
Beobachtung von Physis und Psyche, Begehren und Angst - individuell wie
kollektiv - aus dem Mit- und Gegeneinander in den gesellschaftlichen
Prozessen. Über Beobachtung, Reflektion und Arbeitsprozess entstehen
Figuren, die sind und bedeuten, wächst eine figürliche Bildnerei der
komplexen Situationen und Verhältnisse.
Zentrales Thema sind Männer und Frauen in Kontakten, in Umarmung und
Umklammerung, in der Liebe oder mit ihren Surrogaten beschäftigt, aus
ihr herausgefallen; Sexualität, Affekte, Triebe und ihre Domestikation,
Anziehung und Abstoßung, die Inszenierungen des Sexual-Theaters stellen
einen vitalen Kern, arbeiten untergründig wohl in allem. Die Hölle,
sagt Fischer, das heißt doch labyrinthische Einsamkeit. Bis weit in die
90er dominierten Paare das Bild, seither überwiegen männliche
Einzelfigur und Gruppe, dreht sich vieles um das männliche Prinzip,
männliches Tun, Handeln, Verzweiflung, Engagement...
Was ins Bild kommt, muss ihn angehen, ebenso aber auch was dann im Bild
ist, das Bild selbst. Mit dem "Schönen", das sich einen Stoff sucht,
kann Fischer wenig anfangen. Wenn ich versuche etwas schön zu machen,
sagt er, dann wird es dumm. Wenn er seine Arbeiten ansehe, sollen sie
zurückschauen können.
Es wäre die eigene, elementar-psychologische, mentale Verfassung, die
Figuren frei und in Bewegung setze. Was sich im Bild abspiele, folge
wieder eigenen Regeln. Er arbeite auf eine vage Bildvorstellung zu und
in sie hinein, über den eigenen Bereich der Zeichnung - bei Fischer
öfter eine Mischtechnik auf Papier - und/oder über das Collagieren
diverser Materialien. Beides kann in Malerei münden, einem mittlerweile
mehr oder minder deutlich abgesetzten Bereich.
In der Zeichnung lässt er es fließen, reagieren Farbflecken mit der
Linie und der Schwerkraft, das Assoziativ-Informelle mit dem Konkreten,
der Zufall mit der Erzählung. Ich lasse den Mitteln ihren Willen und
reagiere, sagt er. Unterbrechungen sollte es nicht geben, die Zeichnung
muss leicht und flüssig bleiben und ohne Korrektur auskommen. Das
kalkuliert Zufällige in Geste und Schwung bringt Unbekanntes ans Licht,
einen Überschuss, überraschende Lösungen, die Fragen einfordern.
Das Prozesshafte einer Malerei aus der Farbe heraus hat seit den 90er
Jahren deutlich abgenommen, Malerei ist ihm eher ein trockener, die
Zeichnung der nasse Bereich. Das Prozessuale, Gestische kommt freilich
weiter vor, wenn Emotion in Wissen umschlägt, Wut in Antrieb. Aber er
arbeite heute kontrollierter, er denke vor, konstruiere. Vorbereitende
Montagen und Collagen verschmelzen mit Elementen der Zeichnung,
Bildraum und Farbe folgen einem wohlüberlegten Aufbau.
Ist der Stoff selbstverständlicher Hintergrund, rücken die Gestalten
vor, entwickelt nicht aus der Anatomie, sondern aus Einfühlung, Format
und Situation, aus Farbe, Ausdruck und Linie eigener Handschrift: "Dann
geht es auch um Schönheit, Harmonie, die Lesbarkeit. Ich muss das
Collagenhafte zur organischen Einheit bringen, dass es ein Bild wird.
Dann lass ich auch Sachen zu..." Eine Geste beispielsweise, die so
nicht abgesprochen war, Groteskes und Komisches, ein Kichern der Farbe,
das Schwanken der Mimik.
Was Fischers Figuren unter anderem zum Sprechen bringt, dürfte selbst
ein Gespräch sein. Genau gesehene Körpersprache und individuelle Mimik
handeln die Figur miteinander aus, Kleidung und Gegenstände, Umfeld und
Hintergrund sind gleichfalls Träger, gleichauf im Bildaufbau
beschäftigt, aber nicht im Range der Figur.
Auch wenn formale Probleme und Probleme des Inhalts jederzeit gut
miteinander zu tun haben, sind Farbe und Struktur nie Selbstzweck. Sie
sind "Ableitungen von Moralität", von Weltsicht. "Die Mittel müssen
dienen und das Narrative, die Nacherzählung muss lesbar bleiben. Ich
bin Umformer", sagt der Künstler, "nicht Schöpfer."
Ein Anspruch galt immer: "Wichtige Kriterien in der Malerei sind für
mich dann erfüllt, wenn das erzählend Gezeigte in der malerischen
Stofflichkeit (Farbe, Raum, Licht, Plastizität) wie selbstverständlich
aufgehoben erscheint".
Fischers bildnerisches Denken bedient sich der Mythologie, uralter
Mythen und neuer Legenden. In den letzten acht Jahren waren das vor
allem der Herakles-Stoff und die Ereignisse und Hintergründe des 11.
September 2001. Wobei bedient den Sachverhalt nicht trifft, es ist eher
eine Näherung in Verwandtschaft.
Mythen bewahren Menschheitserfahrungen, kollektiv verdichtet und in
Geschichten erzählt, sind sie weithin lesbar gemachte Muster,
kollektive Deutungen der Welt, die nach Gründen fragen und Gründe
zuweisen. Ihr Bestand - Orte, Personen, Handlungen - ist fest, wie sie
gelesen und erzählt werden, ändert sich. Mythen antworten, je nach der
Frage, mehrdeutig bis mehrfach oder gar nicht. Ihre Antworten nehmen
die Interessen, Ängste, Wünsche der Fragenden auf und geben sie
verändert zurück. Fischer fragt in seiner Serie "Prekäraklid (Die 12
Arbeiten des Herakles)" nach dem anderen Leben, in der Serie "Die
Aufgeklärten" befragt er das Scheitern, Aufklärung und Antiaufklärung,
die "Neue Weltordnung". Die Komplexe überschneiden sich, was nicht nur
in Steffen Fischer begründet liegt, sondern auch in der Natur der Sache.
Die Sagenkreise um Herakles verarbeiten eine kollektiv geteilte
Erfahrung, den Einbruch der patrilinearen Griechen in einen älteren,
matrilinearen Kulturkreis, in den sie nicht passten und den sie kaum
verstanden, den sie nicht einmal da, wo sie sich festgesetzt hatten,
ganz beseitigen konnten und mit dem sie sich letztlich temporär
arrangiert haben. Entsprechend steckt die Sicht aller Beteiligten im
Material, verkapselt, aber nicht tot: Gewusstes und Deutung,
Unbewusstes und nicht mehr Gewusstes, Trauma und Befreiung.
Wie jeder Gründungsheros der griechischen Mythologie war Herakles eine
geführte Maske, die tat, was sie musste, und die konnte, was ihre
Erzähler können wollten. Aber vom dorischen Stammeshelden zum idealen
Gesamtgriechen weitererzählt, bekam Herakles menschliche Züge: er denkt
öfter selbst, er lehnt sich auf gegen Götter und Menschen und verstößt
selbst noch gegen den eigenen Kodex, er arbeitet, er wird verrückt und
rastet aus, er wird ortlos, er mordet und er liebt.
Fischers Interesse setzt bei Omphale an und zieht von dorther Kreise.
Omphale war Königin im kleinasiatischen Lydien, der reisende Held
Herakles begab sich unter ihre Herrschaft und liebte sie. Die spätere
Überlieferung erzählt von diesem problematisch verklammerten Liebespaar
im Ton der Missbilligung, da während der drei Jahre Herakles vergessen
haben soll ein Held zu sein. Aber sie erzählt: Mythen, das wussten die
Griechen, wahren ein eigenes Recht.
Fischer, der seinen Herakles in der Gegenwart kennt, aus der
Kunstgeschichte und den Reduktionen des Gustav Schwab, hat die
Geschichte, die in den Geschichten steckt, nicht weiter untersucht.
Aber seine Bilder kennen sie. Sein Heros ist Widerspruch. Er agiert und
wird agiert, ist Protz, tragischer Held und Hanswurst, Mime und Selbst.
Er vögelt mit Vergnügen und weil's erwartet wird, träumt schlecht,
grübelt, irrt, erfindet weiche Waffen und gibt mit ihnen an, hört die
Embryonen wachsen, studiert fremde Bräuche, wechselt die Kleidung, wird
Tunte und Lilienkönig. Im Wahn tötet er Kinder, in der Hochzeit ist er
alt.
Interessant genug: Tunte und Lilienkönig, der feminine Herakles sind
bei Schwab und seinen Quellen verschwunden, aber die ältere
Überlieferung kennt sie. Herakles ist hier Partner der Hera, von der er
auch seinen Namen hat, ein schlanker Jüngling, ähnlich dem
"Lilienprinzen" von Knossos. Eine jüngere Überlieferung, die diese
Koexistenz der Widersprüche nicht mehr aushielt, spaltete diesen
ältesten Teil ab und übertrug ihn einem kretischen Herakles. Fischer
bleibt bei der Reckenfigur des argeiischen Herakles, denkt mit ihr und
hebt die Spaltung auf. Dieser Rollenwechsel ist ihm wichtig. "Herakles
lief als militanter Typ, als soldatischer Mann an der Leine der Götter
und irdischen Mächte. Omphale fällt da raus. Ich denke, das ist eine
positive Öffnung". Eine Öffnung hin zur Emanzipation, zur
Selbsterziehung jenseits vorgegebener Ideen, der es nicht um Konkurrenz
geht, sondern um das Ausschöpfen menschlicher Potenzen.
Steffen Fischer ist Jahrgang 1954 und stammt aus Dohna, hat von 1977
bis 1982 an der Dresdner Kunsthochschule studiert und arbeitet seit
1983 freischaffend in und bei Dresden.
(Gregor Kunz, 2009)
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