Absage an die Verklärung
Lyriker aus Dresden-Neustadt - Gedichte von Gregor Kunz
Er lebt nicht in Dresden, sondern in Dresden-Neustadt. Er ist führendes Regierungsmitglied der Bunten Republik, Mitherausgeber der Künstlerbücher "Bizarre Städte" und Mitbegründer der Unabhängigen Schriftsteller-Assoziation. Die Rede ist von Gregor Kunz (Jahrgang 1959).
Nachdem er viele Jahre vom Mitteldeutschen Verlag Halle verschaukelt worden ist und nach verstreuten Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, gibt es jetzt die erste eigenständige Publikation von ihm. In der Lyrik-Reihe "Poet's Corner" der Unabhängigen Berliner Verlagsbuchhandlung Ackerstraße hat Kunz die Nummer 13 bekommen. Eine Glückszahl? In dem schmalen Bändchen stehen 42 Gedichte, die zwischen 1982 und 1991 entstanden sind. Den Anfang macht ein Gedicht, das die sonst üblichen Klappentexte ersetzt. Es verweist auf den Grundton vieler Gedichte von Kunz. Es spricht von einer Desillusionierung, vom Verlust einer Illusion. "Als ich glaubte die Welt zu verandern/mit einfachen mitteln/meine unschuld verwarf zurückgab wie einen vorwurf ... " Mit diesem Gedicht korrespondiert ein anderer Text, der den Beginn fortschreibt mit dem Titel "Anfange mit ALS". Und darin die Zeilen: "Als ich nicht umsonst sterben wollte aber/niemand mitmachte." Diese Texte, beide von 1985, beweisen einmal mehr, daß vor allem von den in die DDR "hineingeborenen" Lyrikern in den achtziger Jahren zunehmend eingeklagt wurde, was sich nach 1989 als ein wirklicher Verlust manifestierte: eine gesellschaftstragende Utopie.
Nicht selten bezieht Gregor Kunz historische Prozesse, Personen oder Anlässe in seine Gedichte ein. Ohne Anmerkungen sind sie allerdings nicht immer deutlich auszumachen. Beim Lesen denkt man mitunter, auf alte Post- oder Ansichtskarten zu starren. So z. B. wenn Kunz Dresdner Motive verwendet: Elbegarten, Sarassani, Radrennbahn Reick, Körnergarten, Balkon, Alaunstaße. Bevorzugte Metaphern sind der Kapitän, Matrosen und Schiffe. Sie assoziieren Weite und Offenheit, die aber bei Kunz zumeist scheitern. Nicht einer romantischen Sicht auf Dresden und die Elbe wird hier das Wort geredet, sondern eine Absage findet statt, eine Absage an die Verklärung. Verse wie: "die stadt ohne menschen besetzt von den automobilen", "überleben ist nicht alles", "traurig gehen die leeren häuser in den wald/& bringen sich um" oder "Dresden leergebrannt ein papierkorb" belegen das.
An einem 13. verglühte Dresden. Die 13. Edition von "Poet's Corner" bringt eine Dresdner Stimme, die daran erinnnert, ohne es beim Namen zu nennen. "Wir können nichts lassen so wie es ist".
Michael Wüstefeld, Sächsische Zeitung, 20.11.1992
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