Brief vom Yukon



Nah ist alle Welt und verklammert mit Drähten, verkabelt das Bekannte: Gestern...
Es heißt so. Wir hätten es zwingen sollen, aber selbst noch die Uhren widerstanden.
Mit Hammer und Telefon, Gewehren ins grammweis Zusammengekehrte,
drängen ins währende Glück; jung und schwanzäugig, eine haarige Bande. Nur Mut!
An den Leinen die Söhne und Töchter des Krieges, die wir nicht kannten,
     kannten uns gut,
hinter Zäunen, in Säcken und Kisten gestapelt die Angst. Schöner als wir
      wäre der Morgen!
Ah, der Morgen. Unrecht würde nicht länger geduldet
      und einer trüge am Kummer des anderen mit.
Endlich hinterm Tor, was wollten wir trinken, nach diesem Sieg? Vom klaren Wasser
      der Flüsse vermutlich.
Keine Antwort. Wieder und wieder werden flußab die Steine gesprengt,
eine Kante gezogen rechts und links der Schiffe (Kies und Schotter,
      gemahlene Städte,
an der Küste, hört man, schmelzen sie damit das Eis). Auch sind die Wölfe zurück

Schwarz, im Schneefeld hab ich sie gefunden, sie flohen. Schwarz auf weiß
noch einmal den dritten von rechts, Fabrikwächter später und lange verschollen.
Im Klassenfoto trug er das WIR unterm Arm: der Mensch ist des Menschen,
ein mündiger Fisch... Das verheißene Land hat auch er nicht gekannt,
wie ich das gelobte. Das Meer, ist es still oder tobt... Nein,
keine Beschreibung. Von äußerstem Blau durch Glasruinen Töne gehen,
Birken wurzeln in Backstein und platzendem Anstrich, über dröhnenden Motoren,
grau in dunklem Moos und rostrot zwischen Föhren stehen die Fabriken, leer.
Und über allem die Schatten der Raben, in den Seelen der Männer, der Frauen
      im Ameisenstaat.
Wochenlang brennt hier der Schnee. Jüngst wurde Kohle entdeckt
      und eßbares Wasser...

Fort von hier... Dieses Alter ist schön.
Man hält die Freundschaft hoch und Schattengeld, die Worte beisammen;
alt sind die Karten, aber noch gültig für einige Straßen, gewiß.
Ich habe sie denken sehen, unangestrengt und nacheinander, die Farben des Glücks
      und die Spuren der Bestie.
Doch, die Bilder dauern, wie wenig sonst. Nur genügen sie nicht.
Alle Kammern sind vermietet an Gespenster.
Wohin also: Näher werd ich nicht kommen. Geliebt der Geliebten,
      näher der eigenen Haut.
Was in den gekappten Hügeln vorgeht, geschieht in den weißen Schachteln,
ich weiß es nicht. Es heißt, sie verkleben dort Worte

Häuser rücken vor in der Ebene, über Berge und Täler
Straßen und Brücken in vollem Galopp. Dazwischen der Wald wächst.
Den Kindern bleiben Tankstellen und die Namen der Dinge, von den Kiesbänken
      das Holz, die Knochenhalden unter der kühlen Sonne.
Viele sind es nicht. Auch reden sie wenig.
Was tun? Hier, im Land der erhabenen, hoffnungslosen, hektischen Ruhe,
kalt im Fieber hinter belaufenen Scheiben... (Kalorien, Zahlen,
      noch eine Spur Salz).
Die Brüche benennen und klammern, mühsam zurückholen, das Gestohlene ersetzen.
Nicht meinetwegen... Versuch es, sag ich, und glaub mir, du tust es für dich

Gelegentlich mittags der Schlag aufs Herz, der den Winter anzeigt und verzögert;
des Feuerwerkers Handschlag, geradezu und sommerlich kopflos
      unterm glühenden Helm.
Rechenschaft, sagt er, Genugtuung, das wird nicht genügen... Als wüßte ich's nicht

Kurz sind die Wochen wie Träume, gerade noch sichtbar.
Nachts zittern die Wälder vom Atem der Schlafenden,
sind kleine Tiere im Holz unterwegs, tausende... Im Harsch krachen die Schritte.

So lebe ich, Ex-Seemann und tüchtiger Schreiner am Yukon, in den fallenden Jahren.
Kalt ist's, alter Freund, und wieder bricht ein Morgen an


Dresden, September 2008




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