In Böhmen



Grün, das vor allem, und gleich danach Trauer.
Nicht jene, die du mit fortnahmst,
      nicht jener zahngezeichnete Knochen.
Jene in fallenden Farben, aus Holz und Stein,
      aus Pflanzen heraus.
Leer ist die Straße, steigt oder fällt,
ein blasses Band über dunklen Dächern der Himmel,
da das Grün in den Blättern verschwindet,
      das Laub sich verdichtet,
nie makellos schwarz... Das Gold,
ja, das Gold: Man muß sich beeilen, alles verschwindet.

Bessere dich, eile, noch in der Tür -
grün, was soll ich sagen, Oxyd oder Moos -
da, wo die uralten Götter gestanden haben, still, bis eben,
das Sehen zu lernen. Man muß sich beeilen.

Blaue Bäume am Horizont, ein flammendes Fenster,
Vögel und Tode, Milchfarben, Telefonate, erhitztes Blech.
Es wird nicht genug sein. Sag es.

Flußblau, gefaßt in Weißes;
es sind Sprünge drin, das Erinnerte, auch das Erinnern,
das wirkliche Grau.
Ein Feld, sag ich, es regnet.
Weiß steigt nach oben, Wolke und Steine, mählich
      gewaschener Quarz.
Hier waren sie auch, allesamt
Söhne und Töchter von Bergleuten,
      Glaubenshelden und Schuster,
an Flüssen geboren, am Berg.

Wie sie gingen, sanken sie um.
Nichts gleichgültiger als das.
Du wirst dich noch wundern.

Bäume, grad noch vorhanden, im Sprühnebel
Stimmen, der Tiere, des hartnäckig fordernden Traums.
(Perpetuum mobile, nichts leichter als das.)

Hier sollte ich geboren werden,
einstmals im Februar,
      an einem unwahrscheinlichen Donnerstag,
am 27. Mai, vermutlich, an einem Mauerseglertag,
klein, rot und runzlig.
Ich suche noch heute den Tag
und die Mitte der Welt.

Für das eine zu früh, für das andre zu spät,
man sieht's an den Augen, den Händen,
      den rastlosen Brauen.
Auch deshalb macht man die Götter aus Stein,
das Verhängnis vor allem, die Siegerin auch,
auch die Schuhe, die Schachteln für Totes,
      die Engel aus Blech.
Auch deshalb gibt es mich mehrfach
und nur dann, wenn ich spreche, mit Händen und Füßen.

Hier im Haus, im Kohlendunkel seines Gesterngeruchs,
von Holznägeln gehalten, vom Ocker,
      den Bildern in der weißen Wand.
Ich erkenne es wieder, an den Fingerspuren im Fenster,
      den Spinnennetzen,
im Vorbeigehen am Geruch in der offenen Tür:
Hier bin ich gewesen, gewiß.

Auch jene Katze, die Steinguttassen auf dürrem Papier
- die wichtigen Köpfe, vergessen, aber sonst nichts -
die Toten zwischen brüchigen Einbanddeckeln,
mit 20 Pfund Schokolade im Netz, aber ohne Tabak,
mit Gewehren und Kompaß, der Uhr auf dem Herzen.

Ich wäre ein guter Tischler geworden,
aber so wurde ich Seemann, genauer: ein Dieb.
Was soll man machen?
Wer hat denn kein Heimweh?

Rostige Schlüssel am Waldrand, krumme Nägel und Scherben,
gesprengtes Blau, Weiß vor allem. Zwei Bleikugeln,
sieben Knöpfe mit Adlern drauf, verstocktes Silber, Grünspan.
Hühnerfedern im Totlaub, blasse Spinnen und Häute,
      Insektenlarven.
Brüchige Hacken, damit zu sehen, Sichelbögen,
daraus zu hören, ein brauner, gelöcherter Keil.
Darüber die Patina der Bäume, ein Sonnenfell.
Es paßt nicht.

Die Traurigkeit in den Augen der Heiligen,
schrecklich wie Fenster verlassener Häuser, blind.
Man muß sich beeilen, alles verschwindet.

Erst die Fingerabdrücke, dann die Gläser,
die Beine der Stühle, denen die Flucht mißlang, der Tische,
die zusammenbrachen unter der fehlenden Last.
Blüten in Wachs, Kinderknochen in Gläsern verkorkt, erdwärts
      gewachsen das Haar.
Kehr deinen Schlüsseln den Rücken, sie werden vorangehen,
spuck deine Münzen aus und dann bleib,
wenn du kannst.

Grün zuerst, dann Regen, der Abend.
Das Schmatzen der Füße im Lehm.

Mai 2006




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