Gregor Kunz:

„Es ist ein Geheimnis, es ist ein Wunder und es ist auch eine Qual...“
Der Maler Strawalde und Jürgen Böttcher, Filmemacher






Zauber, das Wort ist wesentlich für Strawalde. Es spricht von Nähe, aktivem Wirken innen und außen, vom Staunen. Landschaft ist Zauber, eine Frau, ein Gedicht, die Arbeit eines Künstlers, ein Farbton, Bäume, die Provinzen der Kindheit.
Häufiger noch ist Wahnsinn in seiner Rede, ein bestätigender Ausruf: so stark ist die Welt, so überwältigend wunderbar und schön, so furchtbar und schrecklich auch. Auch verrückt und frech sind Schlüsselworte, gemein für das Böse, ein komisch für fragwürdig und sehr ambivalent das lustig. Und Rhythmus, Musik. Huldigung, Danken. Seltsam losgelöst vagabundiert über allem ein immer.
„Der Maler, das ist eben nicht nur die Sache des Sehens. Natürlich ist das primär, wie beim Fotografen. Malerei ist eine Beschwörung, so elementar. Die Geschichte der Malerei beginnt früh... Wir wissen ja, auch die Literatur ist alt, aber die Malerei, die Höhlenmalereien, da wird’s wahnsinnig. Das kommt von so weit her und es ist so erstaunlich, was die für Zeichen gefunden haben für Tiere und für Natur. Diese Bilder aus dieser Zeit, wo man sagt, das waren Primitive, das ist ja absoluter Zauber eigentlich, das hat eine solche Schönheit. Und der Maler, der wirkliche Maler, der muss sich als einer verstehen, der von daher kommt.“ (1)
Die Frage war: Was macht den Maler? Man könne nicht von morgens bis abends Zauberer sein, notierte André Malraux eine Äußerung Picassos: „Wie könnte man da leben?“ Spott oder Klage, die Frage ist ernst. Wie leben im Wald der Ambivalenzen, leidlich ein Selbst, wie wahrhaftig sein? Kunst braucht Fürsprecher gegen das Unbekannte, Menschen im Ganzen. Gegen „Alles!“, sagt Picasso, „um alles mit allem zu machen“.(2) Er wollte wirken, sagt Jürgen Böttcher, der Filmer, und sagt Strawalde, der Maler. Er ist damit weit gekommen.

In Böttcher-Strawalde lebt ein Kind, geboren 1931 im sächsischen Frankenberg. Der Vater war Studienrat (Deutsch, Griechisch, Latein, Geschichte), die Mutter Buchhändlerin. Es gab einen älteren Bruder, eine ältere Schwester. Bruder und Mutter sind die Basis des Kindes und lehren bis heute; sie liebten und werden geliebt. Der Vater wohl auch, doch anders; der war eine brüchige, gesplitterte Seele. Traumatisiert im Weltkrieg, vielseitig interessiert und kenntnisreich, ging der antikapitalistische Nationalist kurze Zeit mit den Nazis und brach dann mit ihnen. 1935 flog er aus dem Schuldienst und aus seiner Existenz, nicht nur der bürgerlichen. Dann treibt er dahin. Strawalde: „Wenn man genauer hinguckt, auf diesem Foto, dann sieht er aus wie'n Dichter. Aber diese Melancholie ... Als ich 50 war, hab ich erst kapiert, was der für Leid hatte.“
Die Familie verlor Wohnung und Einkommen; ernährt wurde sie mühsam von der Mutter. Von Hainichen zogen die Böttchers nach Liegau-Augustusbad, dann in die Oberlausitz ins Dorf Strahwalde. Sozial deklassiert und ortsfremd: Kinder zerbrechen an weniger. Aber geschützt und geführt vom großen Bruder, lebt das Kind in Zauberland, nimmt auf und lernt, beginnt ein Wachsen, das einmal Strawalde heißen wird. „Und dort, jetzt sag ich's, tat sich dann der Raum auf... Aber dann in der Oberlausitz auf einmal. Wenn du das siehst, der Blick über 30-40 Kilometer schon geht, aber an Zeichen sich festmacht. Da musst du einfach nur dankbar sein.“
Der Bruder musste in den Krieg, überlebte Stalingrad und stirbt 1944 bei einer Übung, der erste Tote, den das Kind sah. 1945 werden es mehr Tote sein, junge Russen und Deutsche; der Krieg kommt nach Strahwalde, dann der Winter. Seinen Bildern kämen auch daher, sagt Strawalde.
„So'n Weißbild hier, das ist, wenn man so will, abstrakt, aber für mich ist das nicht abstrakt, sondern... Das kommt aus der Zeit des Schnees. Diese Winter 46-47-48, die waren von einer solchen Härte, und wir hatten nichts zu fressen, das kleine Holzhaus war zerschossen, dort waren wir dann raus, waren in so einem alten Beihaus von der Windmühle, das stand oberhalb von Strahwalde und auf dem Dachboden lagen wir, auf dem Fußboden... Wir hatten nichts. Und dann diese weiße Schneedecke, die aber alles so wunderbar verhüllte, und dann Harsch. Und solche Dinge sind dann wie Gebete für mich, dieses »die weiße Decke«, wie in diesem Gedicht »Gleichtun möchte ich es diesem Dorf wie es daliegt, eingehüllt in sein Hemd aus Schnee...« (3)
Alles sei wichtig für sein Leben, sagt Strawalde, auch das Leid. Wenn es einen nicht kaputt macht. Er nennt das „die dunkle, die schwarze Untermalung.“
Kindheit und Brüderlichkeit, Schnee und Zauber-Natur, der offene Raum und das Gespräch der Farben: die Vielheit Böttcher-Strawalde hat hier ihre Klammer. „Ja, könnte man sagen. Ja und das Staunen an der Welt, das Staunen an all den Einflüssen. Wo sich dann der Raum öffnet... Ich weiß noch wie heute, da gab's in Hainichen so einen kleinen Park, da waren Vögel, die hatten verrückte bunte Federn und die stolzierten so, Fasane. Gegenüber war die Eisdiele, da drehte sich eine Riesenschnecke, blau-weiß, und dort stolzten Fasane unter sehr schönen Bäumen. Das war eine Zauberwelt. Ohne meinen Bruder hätte sich das so nicht eröffnet.“

Noch wenn er Tee trinkt oder Auskunft gibt, zeichnet Strawalde, collagiert, malt - vermutlich selbst noch, wenn er schläft. Seine Atelierwohnung in Berlin-Karlshorst birgt Berge an gefügten Dingen, Dasein, Erkenntnis, Schönheit und Sinn. Angefangen hat er früh; schon das Kind und der Jugendliche haben gezeichnet: „Konnt' ich eben. Aber die Leute haben mich auch interessiert. Ich weiß noch genau, schon mit 15-16 wurde es ganz stark“. 1949 geht Jürgen Böttcher nach Dresden und studiert an der Akademie bei Wilhelm Lachnit. Es folgen zwei freiberufliche Jahre in Dresden und das Lehren an der Volkshochschule. In der Folge bildet sich um Jürgen Böttcher eine Gruppe seiner Schüler-Freunde Peter Graf, Peter Herrmann, Peter Makolies, Winfried Dierske und Ralf Winkler (A. R. Penck). Winkler nennt diese Initiationsgruppe später: Erste Phalanx Nedserd.
1955 geht er nach Potsdam-Babelsberg und studiert Regie, nach dem Studium wird er Regisseur im DEFA-Studio für Dokumentarfilme Berlin, für unwahrscheinliche 31 Jahre.
„Der Film war dann der Schritt, den ich machen musste, weil die Malerei in der DDR ganz mies war. Also was da öffentlich zu sehen war, war mies. Es war wirklich fast nix. Für meinen Geschmack auch, und unsereiner wurde nicht angenommen, und dadurch merkte ich, als Maler werde ich nicht wirken können. Ich wollte aber wirken. Und nun hab ich aber in der Zeit Filme gesehen in der DDR, die gut waren, russische, italienische, englische. Filme wollte ich dann machen, damit es sozial genauer wird, also politisch und sozial. Weil ich in der Malerei nicht arbeiten konnte, weil das nicht ging, deshalb habe ich gewissermaßen die zweite Achse eröffnet. Und das ist bei mir eben die Verrücktheit, das es für mich selbstverständlich war.“
Film ist die kollektive und apparatgebundene Arbeit, das Bildermachen ist am Ende einsamer und, wie Strawalde sagt, das Handgemachte, das „über die Augen in die Hand, ins Handwerk geht“. Von 1957 bis 1987 arbeitet der Regisseur Böttcher an 40 Filmen, fast immer ist auch das Drehbuch von ihm. Es sind Aufträge und eigene Projekte bis hin ins Experiment, mit denen Böttcher auslotet und ausweitet, was mit der Kunstform Dokumentarfilm zu machen geht, für ihn und fürs Publikum, und was es heißen kann, ein Künstler der Moderne im Sozialismus zu sein. Böttchers Themengebiet waren Alltag und Arbeit, die Kunst inklusive, die emphatisch begleitete Sprache der realen Gegenwart vor der Ausrichtung, dem Zutexten. „Ofenbauer“, „Stars“, „Der Sekretär“, „Wäscherinnen“, „Martha“, „Rangierer“, „Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner“ sind Meisterwerke, die international Anerkennung fanden und irgendwann auch national, realisiert gegen Widerstände, Opportunismus und Dummheit. Böttchers erster Dokumentarfilm „Drei von vielen“ wurde verboten, sein einziger Spielfilm wurde im Rohschnitt eingezogen und weggeschlossen. Was Böttcher mit dem Spielfilm noch hätte leisten können, unterblieb. Kunstverhinderung hat immer etwas von einem Mord.
Malen, das Bildermachen trat in diesen Jahrzehnten zurück, hörte aber nicht auf. Was sich änderte, war die Zuschreibung: ab 1975 etwa trennte sich der bildende Künstler verbal vom Filmemacher und nannte sich Strawalde. Seine Bilder, sagt er, sind radikal persönlich, seine Filme bedeuten eine enorme soziale und politische Huldigung. Beides habe sich gegenseitig aufgebaut und verstärkt. 1990, nach dem wichtigen Film „Die Mauer“ und seinem Ausscheiden bei der DEFA, drehte sich das Verhältnis zwischen Film und Bild um.
"Musikalität ist mein Haupttalent, das Rhythmische... Wenn es heißt, ich wäre Filmemacher und ich wäre Maler, dann sage ich: ich bin vor allem Sänger. Das ist ein Witz, aber auch wahr. Das war ja auch das Erste, dass ich gemacht habe als kleiner Junge, ich hab gesungen. Und ich singe immer noch gern."

Malerei ist Verhältnis und Klang, Rhythmus, ist wie Tanz, sagt Strawalde, ein Sinnengenuss und natürlich ein Abenteuer. Aber man sollte es lassen, über Malerei zu reden. Malerei ist eine geheimnisvolle Welt: „Ich weiß noch, wie mein Vater mir erklärte, dass da oben andere Sternensysteme existieren. Und die Malerei ist fast so, wie eine Galaxie, die hat so tiefe Räume.“
Es sind tief abgelagerten Dinge, die man male, Erfahrungen, sehr viel komme aus der frühen Kindheit. Er würde nie ein Bild nach einer Zeichnung malen. Er gehe an die Leinwand und wisse vorher nicht, was es würde. Er male, was er noch nicht weiß. „Also es muss sinnenhaft sein, es muss sinnlich sein und der Sinn liegt verborgen in all dem, was man gelebt, was man gesehen, was man geträumt, was man unentwegt beobachtet...“ (4)
Das ganze Leben, so intensiv und so aufrichtig als möglich im Werk zu haben, ist der Beruf des Künstlers. Das erste sei das Aufnehmen der Welt. „Das führt zu Umformungen, also dass man es sonst nicht aushält, wenn man nicht Zeichen zurückgibt... Und dann staune ich oft, dass ich das gemacht habe und weiß oft nicht, was das bedeutet. Das mag naiv klingen; dann sitz ich lange und werde mit dem Bild vertraut und es erzählt mir Sachen, wo ich langsam drauf komme, wo die tieferen Wurzeln für dieses Bild sind. Und ich hab gemerkt, es gibt bei mir einige Bilder, da weiß ich nicht was das ist und jetzt merke ich, das sind die Wälder.“ (5)
In den Bildern Strawaldes – Malerei, Zeichnung, Collage - arbeiten Strukturen und Bewegungen miteinander, Farbfelder und Farbbündel in Metamorphosen, Materialwerte und Wärme, die strahlt. Der Abstraktionsgrad kann sehr hoch sein, aber weit ist die Erde auch dann nicht, die der Gärten etwa, der Wege, eines Baumes, fortgesetzt in seiner Aura. Figuren sind häufig, als Zitat, Bezugsgröße, agierendes Zeichen, grade nicht da oder die Hauptsache. Ähnlich die „Schrift“, vagabundierende Strichknäuel und Bündel, Windhosen eines Linear-C aus der strawaldischen Tiefe. Etwas für sich scheinen die Frauenbildnisse zu sein, aber das täuscht. Farben und Strukturen agieren auch hier in eben der Weise, aber gefügt in den Bildteilen, eingebunden: Anna Chron und ihre Schwestern mit den nämlichen Heliaden-Augen strukturieren die Elemente, die sie strukturieren.
Kunst müsse lebendig sein, sagt Strawalde. Kunst heute sei oft nicht lebendig, sondern künstlich. Das Unbekannte, das Geheimnisvolle, das Lebendige, „wenn man so was in die Welt setzt, das ist... wie man auch die Sonne braucht“. Dass „cool“ nun gut sein soll und in der Kunst das Beste, damit könne er nichts anfangen. „Das ist für mich total fremd: Ich bin kein Romantiker, aber ich find' Warmherzigkeit toll.“ Penck habe ihm mal erzählt, man dürfe heutzutage gar nichts mehr anvertrauen, man solle sich gar nicht mehr öffnen in der Kunst. „Ja, so ist aber die Kunst.“

Kunst prägt Künstler, ihren Wandel: Wahrheit braucht Formen, wie Formen Wahrheit brauchen. Das Eigene wächst aus Vertrautem, in Streit und Einvernehmen ins Fremde, dann wieder Gemäße, eine schwankende Balance zwischen Persönlichem und Überpersönlichem. Was den Künstler zum Künstler mache, meint Malraux, seien Werke, die ihn tiefer berührt haben als deren Gegenstand. „In Zeiten, da man alles früher Entstandene verwirft, erlischt künstlerisches Schöpfertum während langer Jahre: denn im Leeren kann keiner gehen“(6). Freilich prägt auch die Welt und selbst noch die Leere: Lastlose trägt der Wind davon.
Strawalde kennt seine Partner und nennt sie: Giotto, Velasquez, Rembrandt, Goya, Turner, Monet, Cezanne, Picasso, Giacometti, Henry Moore, seine Übermalungen erweitern den Bezug. Aber nicht nur die Maler sind wichtig. Er wisse, was er Hölderlin danke. „Und Mozart, Bach. Die geben mir so viel, also... für meine sogenannte Kunst. Da könnte man immer wieder nur niederknien. Dann der Jazz, die Stones... Das ist auch eine Verantwortung. Wenn man solche Musik haben durfte, dann darf man keinen schlechten Film machen. Das ist so. Das wäre eine Schande, so mit diesem Proviant umzugehen.“
Früh hat Strawalde begonnen, sein Wissen und Können weiterzugeben. Das begann mit der Lehrtätigkeit an der Volkshochschule in Dresden und ging in Berlin weiter, informell. „Da waren immer Abende bei uns und die haben gedacht, ich mache so Plattformen, als wenn ich gegen die DDR etwas schmiede. Die Wahrheit war, ich war einfach jetzt für die Jungen der große Bruder. Ich war nicht so'n guter Mensch, ich konnt' nicht anders. Alles was ich erfahren habe, wollte ich immer den Jungen weitergeben. Ich glaube schon, ich hatte was Merkwürdiges an mir, was viele auch missverstehen mussten. Weil ich dann so emphatisch war und leidenschaftlich für all das...“ Es würde sich lohnen, sagt der Regisseur Thomas Heise, genauer hinzusehen, „wer überhaupt alles was und wie von Jürgen Böttcher, von Strawalde, so gelernt hat fürs Leben“.(7) Haltung, zum Exempel, Offenheit, Maßstäbe der Qualität, Intensität, Neugier... Wie man der Welt tatsächlich etwas hinzufügt, das anders nicht zu haben ist. Wie Kunst und Brüderlichkeit das Leben tragen können. Ein Blick in den Katalog seiner Ausstellung in der Städtischen Galerie Dresden 2018 lässt ahnen, wie viele es waren, die an Werk und Person Böttcher-Strawalde gewachsen sind. Goethe, der sich auskannte, sagte es am 11.3.1828 dem Eckermann: Es gebe kein Genie ohne produktiv fortwirkende Kraft.

Natürlich hat Strawalde gestört, das ist ein Muster seines Lebens. Qualitäten, die stören, gibt es auch sonst, aber in der Kunst scheinen sie häufiger zu sein. Im einfacheren Falle stören sie Karrierewünsche, das flackernde Licht unterm Mittelmaß, Ärsche beim Drücken der Wand oder unterwegs dahin. In den schweren Fällen ist es schlicht ihre Existenz, die ans Existenzielle rührt. Qualitäten, die stören, sind vermutlich Qualitäten, die gerade dringend gebraucht werden.
In der DDR gab es 61 und 65 das Verbot zweier Filme und den Verschluss des Wirkfelds Spielfilm und 61 den hysterischen Verriss der Ausstellung „Junge Künstler. Malerei“ in der Ostberliner Akademie: Böttcher etwa wäre ein „Gangster-Maler“. Es gab Einmischungen in laufende Projekte, Eingriffe, Misstrauen, Gängelei und „Kollegen“. Er habe erlebt, „dass man für was Gutes die Fresse voll kriegt und das es dann verboten wird und nicht gezeigt wird. Die Obrigkeit hat auf mich eingedroschen wegen guter Arbeiten... Filmemacher, die mich angegriffen haben, haben das immer ideologisch intoniert. Die wussten aber, dass es nicht gegen die DDR ging... Wenn das veröffentlicht worden wäre, wären ihre Filme noch beschissener gewesen, als sie so schon waren. Das Gleiche beim Spielfilm.“
Auf die Traumatisierung Ost folgte die Retraumatisierung West. 2000 und 2002 verwehrte die Art Cologne seinen Galerien die Strawalde-Ausstellungen: „Der Künstler Strawalde hat in der ehemaligen DDR weder als Maler noch als Volkshochschullehrer eine nennenswerte Anerkennung erfahren. (…) Seine eigentliche malerische Arbeit begann erst mit dem Fall der Mauer. Der Künstler Strawalde benutzt in seinen Bildkompositionen überwiegend Elemente, die nach Auffassung des Zulassungsausschusses dem Künstler A. R. Penck zugeordnet werden müssen.“(8) Das klingt nach gut gezielter Niedertracht und sadistischem Vernichtungswillen. Kränkender noch als Verbot und Verhinderung sind oft die Figuren, die das betreiben. „Ich hab so hässliche Sachen erlebt in der DDR, Verbote, und das tat immer weh, aber ich hab doch noch arbeiten können in der DDR und hab noch Geld verdienen können. Obwohl ich ihr Feind war irgendwie, haben sie mich um die Ecke rum respektiert und mich noch arbeiten lassen.“ Bei dieser Sache habe er nicht kapiert, wie man so gemein sein könne, so brutal, so verlogen. Er wäre daran fast gestorben.
„Und da sag ich eben, lustig, mein Leben ist trotz allem lustig. Das ist natürlich dialektisch gemeint. Aber es ist auch Lust drin, um so mehr Sinnenlust, um so mehr Lust an den Dingen, die gelingen. Das steckt auch in Lustig drin. Aus dem Grund bin ich auch gern ein frecher Hund. Ich hab auch 'ne Härte an mir und dann bin ich wieder sehr weich... Ich bin so'n komisches, dialektisches Bündel halt, wie die Welt es zulässt.“

Strawalde lebt in seinem 89sten Jahr. Es sei wie das Steigen auf einen hohen Berg, man merke, die Luft wird dünn. „Aber du siehst auch bewusster und tiefer, da ist eine Aussicht.“ Er hat eine neue Folge seiner „Weibsbilder“ begonnen, zwölf sollen es werden. Zwei sind sehr weit, Ariadnen, könnte man meinen, wegen der mäandernden Linien im Haar, den Augen, die sehen lassen und sehen. Fertig geworden ist unlängst ein Buch mit hinreißenden Überzeichnungen: The School of Fontainebleau.(9) Reiner Zauber.



(1) Hier und wenn nicht anders ausgewiesen: Gespräch mit Strawalde am 28.10.2019 in Berlin-Karlshorst
(2) Andre Malraux, Das Haupt aus Obsidian, Frankfurt/M. 1975
(3) Guiseppe Ungaretti
(4) Günter Gaus, Interview mit Jürgen Böttcher Strawalde, rbb, 2.11.2003
(5) Der Maler und Filmemacher Jürgen Böttcher – Strawalde, Goethe-Institut, 2004
(6) Andre Malraux, Psychologie der Kunst 2, Künstlerische Gestaltung, Hamburg 1958
(7) Thomas Heise, Laudatio Jürgen Böttcher, 7. Mai 2011
(8) Michael Zajonz, Strawalde. Der Truffaut vom Prenzlauer Berg, Handelsblatt, 20.2.2012, und Matthias Flügge, Essenzen von tausend Dingen, in: Strawalde Jürgen Böttcher, Zeichnung, Malerei, Film, Katalog zur Ausstellung der Städtischen Galerie Dresden, Hg. Gisbert Porstmann und Carolin Quermann, Dresden 2018
(9) Erschienen zur Ausstellung Strawalde - Blätter aus der Zeit, September - Oktober 2019 in der Galerie Pankow und Juni - August 2021 im Leonhardi-Museum Dresden. Herausgeber Matthias Flügge, Annette Tietz, Bernd Heise

In: Ostra-Gehege 95 (I/2020)

zurück